In der Tat, brav gefallen!

Die zynische Botschaft der Kriegerdenkmäler in Deutschland – fatale Kontinuitäten

  • Gerhard Armanski
  • Lesedauer: 5 Min.
Das andere Denk-Mal – Käthe Kollwitz' Pietà in der Neuen Wache in Berlin
Das andere Denk-Mal – Käthe Kollwitz' Pietà in der Neuen Wache in Berlin

Als es noch die beiden deutschen Staaten gab, schien Krieg nur und erfreulicherweise ein geschichtliches, vor allem die beiden Weltkriege betreffendes Thema zu sein. Es gab zwar den Korea- und Vietnamkrieg sowie eine Unzahl weiterer und ebenso blutiger militärischer Konflikte in der Welt. Aber sie tobten doch »weit hinten in der Türkei, wo die Völker aufeinander schlagen« (Goethe, »Faust«), und wir waren buchstäblich weg vom Schuss. Heute indes ist Deutschland als Akteur imperialer strategischer Ordnungspolitik mit von der Partie. Während es in der afghanischen Zone unter deutscher Okkupation lange weitgehend ruhig blieb, häufen sich nun die Angriffe der Taliban und damit die Zahl der Verletzten und Toten unter den Besatzern. Parallel dazu kam Clausewitz – Krieg als Mittel der Politik – schleichend und zunehmend wieder zu Ehren. Die »umgangssprachliche« Deutung des Geschehens als »Krieg« (zu Guttenberg) wird begleitet von starren Durchhalteparolen der Regierung und einer einseitigen ideologischen Berieselung der weitgehend kriegsunlustigen Bevölkerung. Damit kommen auch Kriegerdenkmäler als Monumente des »Helden«-Gedenkens im öffentlichen Raum erneut zur Geltung.

Nach dem Ersten Weltkrieg ergoss sich eine Flut von Kriegerdenkmälern über Frankreich, Italien und vor allem das besiegte Deutschland. Da man besonders im Bürgertum die Niederlage weder akzeptierte noch Konsequenzen aus ihr zu ziehen bereit war, wurde das erste große Massenschlachten der Geschichte schöngeredet und heroisiert. Das Dammtor-Denkmal in Hamburg ist ein frühes und besonders abstoßendes Beispiel. Einen quadratischen Block umrunden Infanteristen mit sturem Körper und Blick, bedacht mit der Inschrift: »Deutschland muss leben – und wenn wir sterben müssen.« Als hätten die Urheber des Bauwerks gewusst, was noch kommen würde. Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch konnte man den Heldenkult nicht weiterbetreiben und begnügte sich meist mit namentlicher Aufzählung der »Gefallenen«.

Die »Denkmalsseuche« (Richard Muther) hat tausende Steinhaufen errichtet. Das Sterben im Krieg erscheint als ewig, naturwüchsig unabwendbar. Die grobe Geschichte einer die Menschen hinter sich her schleifenden Politik hat diese bittere Archaisierung hervorgebracht. Die Zuschreibung erfolgt nicht von den Opfern, die sicher andere Gedanken hatten, wie man Feldpostbriefen entnehmen kann, sondern von den Über- und Nachlebenden und deren Identitätssuche. Sie wollten der bis zum Überdruss erwiesenen Sinnlosigkeit des Krieges mit ihrer eigenen nachgetragenen Deutung entgehen, worein sich nicht wenig dumpfe Ergebenheit und Schuldgefühle mischten.

»Warum wurden nie die Völker gefragt? Auf der ganzen Welt liegen die Soldaten tot, die ihren Herren dienten. Es ist herzzerbrechend, wenn man an all das Leid denkt, das Kriege gebracht haben. Der billigste Trost war, die Toten als Helden auf Denkmälern zu ehren.« Dies schrieb in einem Brief meine Mutter, die zwei Brüder im Zweiten Weltkrieg verloren hatte.

Zur wirklichen Trauer, zu der ja das Warum gehört, verhält sich das Kriegerdenkmal wie die Pornografie zur Liebe. Es verhindert sie und wirft sie um. Das Leid der Sterbenden und Hinterbliebenen wird durch den politischen Totenkult ausgegrenzt und herrschaftskonform aufbereitet. Die schlichte Frage im Lied »Weißt du, wo die Männer sind, wo sind sie geblieben?« hat da keinen Platz. In der Form des Kriegerdenkmals »fallen« die Toten ein zweites Mal und damit endgültig. Die Geistlichen beider Konfessionen, welche die Kanonen gesegnet haben, müssen einigen Gedankenschweiß aufwenden, um den Opfergang christlich umzudeuten. Man unterschiebt ihm das Sterben Jesu und (nationalpolitische) Erlösung, ja Auferstehung. »Sterben wir, so sterben wir dem Herrn.« (Römer 15,8). Treffender heißt es bei Hiob: »Das Brüllen der Löwen ... und die Zähne der jungen Löwen sind zerbrochen« (Hiob 4, 10). Krieg ist wider das vierte Gebot, das Tötungsverbot.

Wenn die Überlebenden der Waffengänge sich zur Feier der toten Kameraden versammeln, ohne die Stimme gegen das Wüten zu erheben, erkennen sie es stillschweigend an. Die postulierte kriegerische Ehre war seit je die Hure des Mars. Im Kriegerdenkmal kristallisierten sich die herrschen sozial-moralischen Werte mit einer militaristischen Lesart von Ordnung und Pflicht. »Hoch klingt das Lied vom braven Mann ...« In der Tat, zu Millionen brav gefallen!

Nach zwei Weltkriegen mit Hektakomben an Toten ist den Deutschen die Kriegslust – so scheint es – gründlich vergangen, ohne dass sich die herrschende politische Klasse darum schert. Kriegerdenkmäler der alten Art sind ideologisch und ikonografisch gleichwohl nicht mehr möglich. Das heißt aber nicht, dass ihre Funktion erledigt wäre. Die (post)moderne Kultur hat allerdings von überlieferten Autoritarismen und Hierarchien zugunsten eines möglichst unauffälligen und reibungslosen Einfügens der Individuen in die Produktions-, Konsum- und Machtmaschine dieser Gesellschaft Abstand genommen. Damit ändern sich auch die Methoden der Ideologie.

Nun wird im Krieg nicht mehr für Ruhm und Ehre gestorben. Es wird die Funktion des militärischen Personals und Einsatzes für »Sicherheit«, »Menschenrechte« und (hinter vorgehaltener Hand) deutsche bzw. westliche Interessen betont und ausgeführt. Die Soldaten selbst sind wenig ideologisch motiviert. Sie erledigen ihren »Job« möglichst funktionsgerecht. Gleichwohl spricht das zentrale Gedenkmal in Berlin von den »Toten unserer Bundeswehr«. Die Toten werden für eine imaginäre Gemeinschaft reklamiert und mit einem kollektiven, floskelhaften Sinn versehen.

Nein, die Geschichte der Kriegerdenkmäler ist nicht zu Ende. Sie haben nur ihr Gesicht verändert. Wie wär's, wenn man dies zu gegebener Zeit, etwa am 1. September oder auch schon am 8. Mai, vor jenen Orten brandmarkte?

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