Insekten als Primzahlen-Künstler

Max-Planck-Forscher modellierten Paarungszyklus von Zikaden

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Manche Tiere haben es nicht besonders eilig, Nachkommen zu zeugen. Dazu gehören auch drei Zikadenarten aus Nordamerika, deren Larven 13 bzw. 17 Jahre in unterirdischen Wohnhöhlen verbringen, bevor sie sich innerhalb weniger Wochen in erwachsene Insekten verwandeln, sich paaren und schließlich sterben. Aus den bei der Paarung befruchteten Eiern schlüpfen neue Larven, die sich alsbald im Boden vergraben und von Wurzelsaft ernähren. Nach 13 bzw. 17 Jahren wiederholt sich das ganze Geschehen - und zwar mit einer solchen Präzision, dass die nächste Zikadenplage bis auf eine Woche genau vorhergesagt werden kann. Aus der Sicht der Evolutionsbiologie macht das massenhafte Auftreten der Zikaden durchaus Sinn. Denn ihre potenziellen Fressfeinde - Vögel etwa oder Wespen - sind bei einem derart großen Nahrungsangebot rasch übersättigt, so dass immer genügend Zikaden übrig bleiben, um die Art zu erhalten. Auch die Vermehrung in derart langen Zyklen wird gewöhnlich als Anpassung an mögliche Fressfeinde interpretiert: Wären es nämlich nur 12Jahre, könnten die Zikaden von allen Räubern gefressen werden, die sich jährlich und außerdem alle 2, 3, 4, 6 und 12 Jahre vermehren. Hingegen kommen bei einem Zyklus von 13 Jahren als Räuber nur jene Arten in Frage, die jedes Jahr und alle 13 Jahre auftreten. Das heißt: Paarungszyklen von der Länge einer Primzahl, einer Zahl also, die nur durch eins und sich selbst teilbar ist, minimieren das Risiko für Zikaden, auf ihre Todfeinde zu treffen. Was dieser bestechenden evolutionsbiologischen Erklärung bislang fehlte, war die mathematische Modellierung. Mario Markus und Oliver Schulz vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund und Eric Goles von der Universidad de Chile haben erstmals auf dem Computer die natürlichen Lebensbedingungen von Zikaden simuliert, wie das Wissenschaftsmagazin »Max-Planck-Forschung« in seiner jüngsten Ausgabe (Heft 1/2002, S.4) berichtet. In dieser virtuellen Welt sollten die digitalen Insekten unterschiedliche Überlebensstrategien testen. Dabei ergab sich immer dasselbe Resultat: Die Dauer der Lebenszyklen wurde durch Mutationen so lange verändert, bis sie von Primzahlgröße war. Dieser Zyklus erwies sich zugleich als stabil gegenüber weiteren Mutationen. Ließ man außerdem die Wechselwirkung benachbarter Populationen zu, entstanden - wie in der Natur- zwei Territorien mit verschiedenen Primzyklen der Paarung. Danach veränderten die Forscher ihre Anfangsbedingungen grundlegend. Sie gingen nun von Zyklen aus, die in ihrer Länge bis an die Grenzen der Rechenkapazität reichten, obwohl dies biologisch unrealistisch ist. Erneut war die Simulation bei sehr hohen Primzahlen stabil, was zugleich bedeutet, dass das Modell sehr hohe Primzahlen erzeugen kann. Das tun bekanntlich auch Mathematiker, die dabei ständig neue Rekorde erzielen. Dennoch ist die deutsch-chilenische Arbeit bisher einzigartig, weil hier Primzahlen nach einem biologischen Modell erzeugt und so Zahlentheorie und Biologie direkt miteinander verknüpft werden.

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.