• Sport
  • Road to Africa - ND-Serie – Teil 2

Offen über die London Road

Jede Woche Lesenswertes zum WM-Turnier / Ein Ausflug nach Alexandra – das älteste Township Johannesburgs

  • Armin Osmanovic, Johannesburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Nichts wird vor der ersten Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent so heiß diskutiert wie das Thema Sicherheit rund um die Spielorte in Südafrika. Dabei hat sich die Lage in den letzten Jahren schon verbessert.

Es ist Sonntagmittag in Alexandra, dem ältesten Township Johannesburgs, wo auf acht Quadratkilometern rund 500 000 Menschen wohnen. Hier lebt man dicht an dicht. Häufig wohnen Familien mit bis zu zehn Menschen auf nicht einmal 60 Quadratmetern. Neben kleinen Hütten gibt es auch Häuser, mit ausreichend Platz, der unterschiedliche Wohlstand der Familien ist gut zu erkennen. Viele der Bewohner Alexandras haben 16 Jahre nach Amtsantritt Nelson Mandelas weiterhin keine Arbeit, alle haben aber heute Wasser, Strom und Toiletten im Haus.

Das Leben in Alexandra spielt sich hauptsächlich auf der Straße ab. Gläubige sind auf dem Weg zurück von der Kirche, Jungs spielen mit alten Hausschlappen Fußball. Alte Männer sitzen vor ihren Häusern und trinken ein erstes Bier, erholen sich von der Nacht zuvor. Denn Abends, vor allem am Wochenende, wird gefeiert, es ist laut, überall spielt Musik – und nicht selten kommt es mit zu viel Bier im Kopf zu Schlägereien.

Am Tag kann man sich problemlos in Alexandra bewegen. Nicht weit von einem früheren Haus der Familie Mandelas steht leer und verschlossen ein Gemeindezentrum zu Ehren des ersten Präsidenten. Hinter ihm biegt man auf die berüchtigte London Road. Hier war Hijacking, das Kidnappen von Auto mitsamt Insassen, die nicht selten allesamt getötet wurden, Tages- und Nachtgeschäft. Das ist vorbei, genau wie die Zeiten als während der Apartheid noch Gangs wüteten.

Autos sind mittlerweile mit offenen Fenstern unterwegs, die Türen nicht verriegelt – früher eine echte Einladung für einen Überfall. Heute sieht man auf der London Road viel Polizei. Die Lage habe sich wirklich verbessert, erzählen Anwohner. Ein Stück weiter, in einer sichereren Wohngegend, erfährt man per Infobrief von Sicherheitsfirmen allerdings, dass erst letzte Woche noch ein Auto auf der London Road gehijackt wurde.

Nach Alexandra werden nicht viele WM-Besucher kommen. Nach Soweto, dem bekanntesten Township Südafrikas und Standort des Soccer-City-Stadions, in dem das WM-Finale stattfinden wird, werden aber sicher einige fahren. Für Touristen ist eine solche Tour mit Blick auf die Sicherheitslage in der Regel unbedenklich. Südafrika ist für viele Menschen vor Ort aber gefährlich.

Die Bilanz des letzten Wochenendes zeigt dies. Drei Überfälle auf Geschäfte schafften es in die Zeitungen, einer auf einen Mobiltelefonladen, zwei auf Restaurants. Schlagzeilen hat aber vor allem ein Angriff auf die neuen Schnellbusse gemacht, welche das Stadtzentrum Johannesburgs mit Soweto verbinden. Zwei Busse wurden beschossen. Ein 32-jähriger Mann wurde getötet, acht Menschen verletzt. Das Schnellbussystem, das auch die WM-Besucher zum Stadion bringen wird, ist heftig umstritten, denn die Minibustaxifahrer sehen ihre Arbeitsplätze in Gefahr. Vertreter der Taxifahrer haben aber jede Beteiligung an den Überfällen zurückgewiesen. Nun versucht die Polizei, wie auch in Kapstadt, die Schnellbusse verstärkt zu beobachten.

Als in Südafrika vergangenes Jahr vermeldet wurde, dass die deutschen Fußballer während der WM außerhalb ihres Hotels in Pretoria womöglich mit schusssicheren Westen herumlaufen würden, machten sich viele Menschen über die ängstlichen Deutschen lustig. Wie sehr aber die Südafrikaner selbst unter der hohen Kriminalität leiden, zeigen zwei jüngst veröffentlichte Studien: 25 Prozent der Kinder aus der Mittelschicht leiden unter Angstzuständen. Reale Gewaltverbrechen in der Umgebung aber auch die übertriebenen Ängste der Eltern überfordern die Kinder emotional. 42 Prozent der schwarzen und 33 Prozent der weißen Studenten aus der Mittelschicht geben in einer Umfrage an, dass sie das Land verlassen wollen. Neben der Arbeitslosigkeit ist es die hohe Kriminalität, die sie als Grund nennen.

Justice, ein Student an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg, der erst einmal das Land wegen eines Familienbesuchs verlassen hat, will auch auswandern. Wohin? »Nach Neuseeland oder in die Schweiz.« Warum? »Weil man dort ohne Angst leben kann.«

Nächstes Mal: Afrikas Fußball-Potenzial.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal