Ein Privatisierungsbefürworter kehrt in die SPD zurück

Wiesbaden: Jürgen Becker verlässt Fraktion Linke Liste

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenige Wochen nach dem Übertritt des früheren SPD-Stadtverordneten und Gewerkschaftssekretärs Veit Wilhelmy hat die Fraktion Linke Liste (LiLi) im Wiesbadener Rathaus einen anderen Kommunalpolitiker an die SPD verloren.

Bei einem Pressegespräch am Freitag gab der 62-jährige Jürgen Becker, bisher LiLi-Vizechef, seinen Übertritt in die SPD-Rathausfraktion bekannt. Nach dem Austritt aus der LINKEN hat er die Aufnahme in die SPD beantragt. Becker kehrt damit in die Partei zurück, die er 2004 aus Protest gegen die Agenda 2010 nach jahrzehntelanger Mitgliedschaft verlassen hatte. Als lokaler WASG-Mitbegründer war er in der Kommunalwahl 2006 für die Linke Liste angetreten. Die dreiköpfige LiLi-Fraktion hat er bisher im Rathaus-Sozialausschuss vertreten. Dort wird er nun für die SPD sitzen.

In Beisein des Wiesbadener SPD-Chefs und städtischen Sozialdezernenten Arno Goßmann, der den Heimkehrer »mit offenen Armen« begrüßte, unterstrich Becker, dass er seinem Ziel, die SPD von außen ein Stück nach links zu drücken, um einige Schritte näher gekommen sei. »Es bewegt sich was in der SPD«, freute er sich: »Die Reformbewegung in der SPD hat einen Namen und ein Gesicht: Sigmar Gabriel.«

Becker bekräftigte, dass er das von Goßmann im Rahmen der »Optionskommune« vertretene Konzept von weit über 1000 sogenannten »Ein-Euro-Jobs« persönlich weiterhin kritisch sehe. Er werde seine abweichende Haltung allerdings nicht mehr öffentlich äußern, um die Einheit der SPD-Fraktion nicht zu gefährden.

Die SPD-Fraktion hatte erst im Herbst 2008 den IG BAU-Sekretär Veit Wilhelmy wegen dessen wiederholter grundsätzlicher Kritik an der Wiesbadener Hartz-IV- und »Ein-Euro-Job«-Praxis ausgeschlossen. Goßmann, der als Haupttriebfeder hinter dem Ausschluss gilt, bekräftigte am Freitag noch einmal seine Linie. »Die SPD ist halt offen«, kommentierte er Fragen nach einem Dissens mit Becker in dieser Frage.

Als wesentlichen inhaltlichen Grund für seine Abkehr von der LINKEN führte Becker »Verstaatlichungsforderungen« im vorliegenden Entwurf des neuen Parteiprogramms an. Im vergangenen Herbst hatte er in seiner Funktion als finanzpolitischer LiLi-Sprecher in einer eigenverantwortlichen Presseerklärung ohne Rücksprache mit seiner Fraktion eine Privatisierung der Rhein-Main-Hallen gefordert. Er ist damit bislang der einzige Wiesbadener Kommunalpolitiker, der das kommunale Messe- und Veranstaltungszentrum in zentraler Stadtlage in private Hände geben will. Dafür habe er in der Partei »Prügel einstecken müssen«, beklagte Becker. In der LINKEN herrschten in solchen fragen »Denkverbote«, kritisierte er.

Dass sich der neue SPD-Stadtverordnete Becker künftig keine derartigen öffentlichen Alleingänge mehr erlauben darf, stellte sein neuer Fraktionschef Axel Imholz klar – in Beckers Beisein: »Wir arbeiten geschlossen und er wird sich der Disziplin fügen.«

»Sehr enttäuscht« über Beckers Rückkehr zeigte sich LiLi-Fraktionschef Hartmut Bohrer. »Wir haben vier Jahre lang gemeinsam gegen den von Arno Goßmann mit verantworteten städtischen Personalabbau, gegen Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit und Fremdvergabe an Firmen mit Lohndumping gestritten«, erklärte Bohrer auf ND-Anfrage. »Wir glauben nicht, dass er in der SPD gegen diese unsoziale Politik eintreten kann.« Bohrer will Beckers Stimmverhalten aufmerksam beobachten.

»Die Wiesbadener SPD ist so schwach, dass sie jeden aufnimmt«, kommentierte LiLi-Fraktionsmitglied und Ex-SPDler Veit Wilhelmy den Wechsel: »Er war und ist keine politisch stabile Person.« Wilhelmy argwöhnt, dass Becker eine Zusage Goßmanns auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die Kommunalwahl 2011 habe und sieht darin das Hauptmotiv für die Rückkehr zur SPD. Becker bestreitet dies, will aber auf jeden Fall nach 2011 Stadtverordneter bleiben: »Kommunalpolitik ist wie eine Droge. Es macht Spaß und ich mache es gerne.«

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