Labyrinthe des Lebens

Fritz Rudolf Fries, der Zauberer unter den Erzählern, wird 75 Jahre alt

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 5 Min.
Labyrinthe des Lebens

Bald wird der Magier wieder vor sein Publikum treten, und es wird wohl sein wie immer. Er setzt zu einer neuen Geschichte an, und es braucht nur ein paar Sätze, dann weiß man schon, dass es hier bunter, spielerischer, auch rasanter zugeht als in anderen Geschichten, verwirrend, hintergründig, zuweilen rätselhaft und so verwegen, dass man den Sinnen nicht traut.

Die Ankündigung verspricht einen großen Familienroman, ein Jahrhundertbild, aber das sind bloß Hausnummern, die wenig sagen, wenigstens nichts über das, was einen zwischen den Buchdeckeln erwartet. Da steht die Welt Kopf, tummeln sich Schüler, Lehrer, Politiker, treue und untreue Frauen, Kirchenleute, Ganoven, Künstler, mit Lust dirigiert von einem Autor, der eine Leipziger Bombennacht des Jahres 1944 genauso beschwört wie jenen Augusttag 1999, als sich die Sonne verdunkelte. Versprochen wird »die Erkundung unserer merkwürdigen Welt«, und dabei wird man sich erneut auf allerlei gefasst machen müssen.

Bei einem Blick auf den Titel – »Alles eines Irrsinns Spiel« – mag dies nicht überraschen. So, mit den Worten aus Wilhelm Müllers »Winterreise«, die Franz Schubert vertont hat, endet das Romanspektakel.

Fritz Rudolf Fries, der Gaukler, der Kobold, der Zauberer unter den Erzählern, liebt es seit seinen Anfängen, die Realität in fantastischen, komischen, wilden, ironisch verkleideten Geschichten aufzuspüren. Er hatte schon, geboren 1935 in Bilbao, später nach Leipzig verpflanzt, einen Roman fertig, als er noch bei den Professoren Werner Krauss und Hans Mayer im Seminar saß. Er nannte seinen Erstling geheimnisvoll »Der Weg nach Oobliadooh«.

Es war ein Buch, das von jungen Leuten in einer Großstadt der DDR handelte und von ihrer Sehnsucht nach einem Ort, der all das bietet, was man nicht hat. Sein Titel spielte auf eine Liedzeile von Dizzy Gillespie an und offenbarte eine bedenkliche Vorliebe für westliche Musik. Es war, befand die Obrigkeit, nichts für Leser in der DDR. Das Debüt des merkwürdigen, nicht ideologiefesten Autors wurde erst im Oktober 1989 zugelassen, als diese Obrigkeit mitsamt ihrem Staat nicht mehr zu retten war. Da war der Roman allerdings, veröffentlicht bei Suhrkamp, schon gute zwei Jahrzehnte in der Welt und sein Verfasser auch in Rostock oder Dresden ein geschätzter Mann.

Ein Einzelgänger, ein Exot. Lebte nördlich von Berlin in einer Ortschaft des Niederbarnim und dachte sich bizarre Romane aus. Sie hießen »Das Luft-Schiff«, »Die Väter im Kino« oder »Alexanders neue Welten«, und sie waren anders als das meiste, was die DDR an Literatur hervorbrachte, ungewöhnlicher, artistischer, auch vertrackter. Er gehörte zu jenen, die sich kein X für ein U vormachen ließen. Er war der Clown, der lächelnd die Wahrheit sagte. Der die Zunge rausstreckte, wenn die Aufpasser nicht hinsahen. Der sich ein ums andere Mal spektakuläre Kunstwelten schuf, Labyrinthe des Lebens, in denen er schalten und walten konnte, wie er wollte. Ein Held war er nicht, aber auch keiner, der in Gesänge einstimmte, deren Melodien er schrill und falsch fand.

Er ist von der DDR auch später, nach ihrem Verschwinden, nicht losgekommen. Und fast immer war es ungefähr so wie vor Jahren, als er in seinem Roman »Der Roncalli-Effekt« ins Kostüm des Clowns Augustin schlüpfte, eines Mannes, der Star im Staatszirkus geworden ist und mittlerweile, unschuldig natürlich, in einer venezianischen Gefängniszelle sitzt, weil er vor Jahren eine Dompteurin erschossen haben soll. Die Geschichte, raffiniert eingefädelt, gibt dem Helden, dem das Lachen nun gründlich vergangen ist, die wunderbare Gelegenheit, von sich und dem erstarrten Land zu berichten, von den Späßen, die er, wahrlich kein Dummer August, auf Kosten des Landes getrieben hat, und von der illustren Schar der Zeitgenossen, die seine Wege kreuzte. Ein brillanter Schelmenroman wie andere Fries-Bücher auch, spielerisch entworfen und geistreich erzählt.

Seine Väter sind die alten spanischen Romanciers, Cervantes allen voran, die fantastischen Lateinamerikaner, Jean Paul und die modernen Europäer. Er hat den barocken kubanischen Erzähler José Lizama Lima gefeiert und bei Volk und Welt eine vierbändige Ausgabe des Argentiniers Jorge Luis Borges herausgegeben, er übersetzte Julio Cortázar, was bei einem wie Fries nicht ganz folgenlos bleiben kann, er liebt Julien Green und Heinrich Mann.

Vor knapp drei Jahren erst hat er in dieser Zeitung wieder über den älteren der Mann-Brüder geschrieben (in der Serie »Wiedergelesen«). Nicht dem »Untertan«, auch nicht dem »Henri Quatre« gilt seine besondere Neigung, sondern dem späten, 1956 postum erschienenen Roman »Empfang bei der Welt«, dieser Geisterstunde einer »einmütig absterbenden Gesellschaft«. Es war der respektvolle Gruß an einen nahen Verwandten.

Früher empfing Fritz Rudolf Fries seine Besucher, auch das bunte Völkchen, das zu den Geburtstagen kam, im Garten oder unten im Haus, dort, wo in langen Reihen die Bücher stehen, wo er sich seine Welt zwischen Kunst, Literatur und der riesigen Schallplattensammlung geschaffen hat. Das ist inzwischen nicht mehr möglich. Von fremder Hilfe abhängig, kann er allenfalls vom Bett zum Sessel wechseln. Dort hockt er tagsüber, den Laptop vor sich, und tippt seine Geschichten, manchmal auch einen Artikel, als sei nichts geschehen.

Noch ist nicht alles erzählt. Der Kopf ein unerschöpfliches Reservoir an Gestalten, Szenen und komischen, verrückten, unglaublichen Bildern, geeignet, die Welt kenntlich zu machen. Der neue Roman, vom Verlag Faber und Faber für August angekündigt, wartet noch darauf, in die Hände der Leser zu kommen, da ist das nächste Buch schon in Arbeit.

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