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Wie der geborene Thronfolger

Joachim Gauck demonstriert einen moralischen Anspruch auf das Amt

Wie der geborene Thronfolger

Die »Bürger für Gauck« haben sich versammelt. Vielleicht 25 Leute stehen am Berliner Alexanderplatz und wollen zum Brandenburger Tor marschieren. Montagsdemonstration nennen sie das. Ein paar hundert Meter weiter, an der Weltzeituhr, gibt es noch eine Montagsdemo. Dort protestieren die letzten Aufrechten unverdrossen gegen Hartz IV, seit Jahren.

Da haben die Gauck-Fans – wie ihr Idol – andere Sorgen. »Gebt die Wahl frei!« steht auf den Plakaten, und sie meinen damit, dass in der Bundesversammlung der Fraktionszwang aufgehoben werden soll. Dann, glauben sie, wäre Joachim Gauck der Favorit. Gauck selbst nimmt solche Aktionen, auch die Unterstützergruppen im Internet als Beweis dafür, dass er eine Art Kandidat der Herzen ist. Er bewegt sich mit einer Selbstgewissheit durch die Medienöffentlichkeit, als sei er der geborene Thronfolger, und behauptet einen moralischen Anspruch auf das Präsidentenamt.

Es wird ihm auch leicht gemacht. Seit SPD und Grüne den Kandidaten Gauck aus dem Ärmel zauberten, liegt ihm ein Großteil der Presse, vornehmlich der konservativen Presse, zu Füßen. Selbst als deutscher Obama wurde er schon bezeichnet, was dann sogar Gauck zu weit geht. Der rot-grüne Coup ist gelungen: Sie wollen nicht unbedingt die Präsidentenwahl gewinnen; sie wollen Schwarz-Gelb ärgern. Hinter dem Getöse über den prächtigen Kandidaten, auch hinter dem anfänglichen Versuch von SPD-Chef Sigmar Gabriel, der Kanzlerin den einstigen Aktenverwalter als gemeinsamen Kandidaten schmackhaft zu machen, steckt nur eine Absicht: Merkel in die Enge zu treiben. Rot und Grün geben vor, kleinliche Parteitaktik durchbrechen zu wollen – mit Methoden kleinlicher Parteitaktik.

Gauck weiß das, aber es ist ihm egal. Die Kandidatur ist eine Bühne, wie sie ihm sonst niemand mehr hingestellt hätte. Mit SPD und Grünen hat er nicht viel im Sinn und war deshalb über deren Angebot verwundert. Verpflichtet fühlt er sich zu nichts. »Mein Angebot ist Gauck«, lässt er wissen. Er ist ein Konservativer, der in den letzten Jahren bei der Konrad-Adenauer-Stiftung ein und aus ging. Der Ex-Pfarrer bewundert Angela Merkel und will kein Gegenspieler zu ihr sein, sondern eher ihre Ergänzung. Und vielleicht hätte sie ihn sogar selbst gern ins Schloss Bellevue bugsiert, wenn da nicht die Parteidisziplin wäre. Gauck sei ein Aufklärer, sagte Merkel zu dessen 70. Geburtstag im Januar, ein Freiheitsdenker, Einheitsstifter und Versöhner.

Zumindest Letzteres dürften viele anders sehen, die in den 90er Jahren die Tätigkeit der Gauck-Behörde zu spüren bekamen. Die erlebten, wie seine Behörde nicht nur, aber oft genug den Stab über Menschen brach. Wie nicht nur, aber oft genug mit alten MfS-Akten neue Politik gemacht wurde. Wie nicht nur, aber oft genug Unversöhnlichkeit herrschte.

Dieses Unerbittliche setzt sich bis heute in weiten Teilen der medialen Behandlung der DDR fort. Als die Kandidatin der LINKEN, Luc Jochimsen, sich weigerte, die DDR pauschal einen Unrechtsstaat zu nennen, war der Teufel los. Da zählte auch nicht ihre Erläuterung, die DDR habe an ihren Bürgern unverzeihliches Unrecht begangen. Nein, man wollte das eine, das U-Wort hören. Die Kritiker der DDR verlangen platte Bekenntnisse; ganz so, wie sie in der DDR üblich waren. Bist du dafür oder dagegen? Dazwischen ist nichts.

Daran hat Gauck seinen Anteil. Der Eindruck sei geblieben, schrieb neulich Kerstin Decker in der »Tageszeitung« über Gauck, »hier den obersten Abgesandten einer Gegeninquisition vor sich zu haben«. Es sind solche Erfahrungen, die in der Linkspartei sofort zu einer teils reflexhaften Ablehnung Gaucks geführt haben, bis hin zu dem auch in der LINKEN umstrittenen Vorwurf Oskar Lafontaines, Gauck habe Privilegien der Stasi genossen. Die Abwehrhaltung gegen den Aktenverwalter hat eine Auseinandersetzung mit seinen politischen Positionen weitgehend übertönt. Dabei könnte gerade das interessant sein: Gaucks Befürwortung des Afghanistan-Krieges, seine Lobreden auf die Marktwirtschaft, seine herablassenden Ansichten über die Hartz-IV-Kritik der LINKEN – das wäre Debattenstoff gewesen. Denn er kann überzeugend vom Wert der politischen Freiheit sprechen. Für die soziale Freiheit aber hat er nur ein paar dürre Worte übrig. Auf der Internetseite von Vera Lengsfeld, die heftig für Gauck geworben hat, steht das Motto »Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit«. Gauck würde das wohl gefallen.

In den Medien wurde oft der Eindruck erweckt, er müsse nur den 21-Stimmen-Vorsprung von Schwarz-Gelb in der Bundesversammlung aufholen. Diese Rechnung tut so, als habe Gauck die 124 Stimmen der LINKEN in der Tasche. Das wird für die beiden ersten Wahlgänge keinesfalls gelten. Und auch in einem dritten Durchgang würde sich das nur schwerlich ändern. Denn Gauck, der sich um Stimmen aus dem bürgerlichen Lager bemüht, gab der LINKEN brüsk zu verstehen, dass er von ihr nicht viel hält. Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit und hat eine Diskussion darüber verhindert, was sich André Brie wünschte: dass ein Votum pro Gauck die Bereitschaft der LINKEN signalisieren könnte, »die freiheitliche Kritik Gaucks ernst und aktiv in die eigene Auseinandersetzung mit dem untergegangenen Staatssozialismus aufzunehmen«.

Auf der Leipziger Buchmesse im Frühjahr antwortete Gauck auf die Frage nach einer eventuellen Spätkarriere in der evangelischen Kirche: »Es wäre ein Armutszeugnis für jede große Institution, wenn sie die 70-Jährigen reaktivieren müsste.« Jetzt heißt seine Botschaft: Deutschland braucht mich, und zwar dringend. Was soll man dazu sagen? Armes Deutschland?

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