• Politik
  • Währungsunion vor 20 Jahren

Drei offene Fragen

Das Feilschen um den Staatsvertrag

  • Edelbert Richter
  • Lesedauer: 6 Min.

Im ersten Bonner Entwurf zum Staatsvertrag vom 23. April 1990 brachten unsere Verhandlungspartner ihre Interessen wohl deshalb so unverblümt zum Ausdruck, um besser feilschen zu können. In der Überschrift war nur in bezug auf die Währung von einer »Union« die Rede, im Hinblick auf Wirtschaft und Soziales aber von einer »Gemeinschaft«. Obwohl es spitzfindig erscheinen mochte, haben wir diese einseitige Akzentsetzung beanstandet, denn: Würde die wirtschaftliche und soziale Untermauerung der Währungsunion nicht ernst genug genommen, dann müsste das katastrophale Folgen haben!

Art. 14 (später 15) musste völlig neu geschrieben werden, weil er schlicht davon ausging, dass unsere Landwirtschaft, die schon zusammenzubrechen begann, von heute auf morgen in die EG integriert werden könne. Recht dürftig war auch der Art. 15 (später 16) zum Umweltschutz geraten, obgleich schon die Blechlawine rollte, das Sero-System starb und die Müllberge anschwollen.

Wir trugen immerhin das Vorsorge-, das Verursacher- und das Kooperationsprinzip nach. In bezug aufs Arbeitsrecht sollte nach dem Entwurf der Bundesregierung die Aussperrung erlaubt sein! (urspr. Anlage II, Leitsätze) Das konnten unsere Vertreter verhindern, allerdings nur deshalb, weil angesichts der steigenden Arbeitslosenzahl die Unternehmer im Arbeitskampf ohnehin im Vorteil sein würden. Nach Art. 16 (2) sollte die Unfallversicherung wie die anderen Versicherungen zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden, obwohl sie in der alten Bundesrepublik allein von den Arbeitgebern finanziert wurde. Dagegen haben wir uns erfolgreich gewehrt. Im Papier der Bundesregierung war von »Maßnahmen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik wie berufliche Bildung und Umschulung« nichts zu lesen. Arbeitslose konnten bald ermessen, wie wichtig es war, dass der entsprechende Satz noch aufgenommen wurde (Art. 19)

Freilich konnte eine ganze Reihe von Problemen in den Verhandlungen nicht annähernd gelöst werden. Ich nenne drei, die deshalb besonders wichtig sind, weil es bei ihnen um die Überführung des sogenannten Volkseigentums in verantwortliches Eigentum ging.

Der Staatsvertrag bestimmte paradoxerweise, dass den »volkseigenen« Betrieben im Zusammenhang mit der Währungsumstellung die Schulden, die sie bei der Staatsbank hatten, nicht erlassen wurden. Wusste man nicht, dass es sich um staatlich geleitete Betriebe handelte, die Kredite auf Anweisung hin aufgenommen hatten? Es waren im Grunde Schulden, die der Staat gemacht hatte. Wie vertrug sich diese Belastung der Betriebe mit der erklärten Absicht der Bundesregierung, den industriellen Aufschwung im Osten fördern zu wollen? Behielten die Betriebe die Schulden, dann war der Neubeginn nicht nur psychologisch erschwert, dann mussten sie auch hohe Zinsen zahlen und bekamen vielleicht nicht die Kredite, die sie zur Modernisierung so notwendig brauchten. War hier nun die wirtschaftsliberale Strategie der »schöpferischen Zerstörung« am Werke oder das Interesse, westlichen Unternehmern möglichst viel an Konkursmasse zum Kauf anbieten zu können?

Letztlich waren die Schulden allerdings Schulden bei der Bevölkerung der DDR, den Sparern. Daher der Einwand, für die Sparkonten der Bürger müssten die Betriebe einstehen. Hieß Entschuldung der Betriebe nicht Enteignung der Sparer? Dieser Einwand hat mir zunächst zu denken gegeben. Aber noch bestand die DDR, konnte der Staat also auch Schulden haben. Warum sollte die DDR ohne Schulden in die deutsche Einheit eintreten, wenn es doch die Bundesrepublik mit enorm hohen tat?

Eine weitere Frage, die der Staatsvertrag nicht beantwortete, sondern aufwarf, hieß: Was sollte mit den Erlösen aus der Privatisierung des von der Treuhandanstalt verwalteten riesigen Volksvermögens geschehen? Wir gingen also noch davon aus, dass sie Erlöse erzielen würde! Art. 10 (6) sah daher vor, dass »nach seiner vorrangigen Nutzung für die Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushalts … den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Umstellung 2 zu 1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen eingeräumt werden kann«. Das war von dem lange diskutierten Gedanken übriggeblieben, mit dem sogenannten »Volkseigentum« endlich einmal ernstzumachen und es über Anteilscheine unter den Bürgern aufzuteilen. Aber der Staatsvertrag wusste andererseits mit dieser Idee sowieso nichts mehr anzufangen, denn die Treuhand ging ja den Weg der physischen Zerstückelung und des objektweisen Verkaufs – ein für den Wert des Produktivkapitals zerstörerisches Verfahren.

In den Artikeln 26 (4) und 27 (3), die ebenfalls die Verwendung des Volksvermögens behandelten, war jene Idee daher gar nicht mehr in Betracht gezogen. Außerdem gab es zwischen diesen Artikeln einen Widerspruch. Der eine besagte, die Erlöse aus der Privatisierung sollten vorrangig für die Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushalts genutzt werden; der andere jedoch ging davon aus, dass für Zwecke der Strukturanpassung gar nichts mehr übrigbleiben würde. Wieder blieb unsere Wirtschaft also auf der Strecke: Sie bekam nicht nur die Schulden aufgehalst, die sie selber auf Anweisung des alten Staates hatte machen müssen, sondern nun auch noch die, die der Staat ganz unabhängig von ihr gemacht hatte – ein Grund für die negative Bilanz der Treuhand.

Unsere Wirtschaft wurde durch den Vertrag noch ein drittes Mal geschwächt. Wenn auch viele unserer Produktionsanlagen an Wert verloren, so hatten wir doch immerhin reichlich Grund und Boden in günstiger Lage. Das war neben unseren qualifizierten Arbeitskräften der Schatz, der uns jedenfalls geblieben war. Da die Marktwirtschaft zwar meist (durchaus nicht immer) den Handel mit Grund und Boden einschließt, dieser aber mehr als jedes andere Gut soziale und ökologische Verantwortung erheischt - und zudem die Bodenpreise in der DDR ja lächerlich niedrig waren – galt es, diesen Schatz zu hüten und vor Spekulation zu schützen. Dazu hatten die beteiligten Fraktionen schon in der Koalitionsvereinbarung festgelegt: »Spekulation mit Grund und Boden ist durch Bau- und Bodenrecht zu verhindern … In einer Übergangszeit von 10 Jahren kann natürlichen und juristischen Personen, die an einem bestimmten Stichtag nicht ihren Sitz in der DDR haben, grundsätzlich nur ein Erbpachtrecht mit Vorkaufsrecht nach Ende der Übergangszeit zu den dann marktüblichen Preisen eingeräumt werden. Vor Begründung von Erbpachtrecht besteht eine zeitlich begrenzte Anbietungspflicht an natürliche und juristische Personen aus der DDR.«

Dagegen wurde in den Verhandlungen von Seiten der Bundesregierung immer wieder eingewandt, ohne die Möglichkeit des unbeschränkten Erwerbs von Grund und Boden seien die Chancen, dass bei uns investiert würde und die dafür notwendigen Kredite bereitgestellt würden, gering. Wir brauchten aber nichts dringender als Investitionen, das erwartete große Engagement westlicher Unternehmen in der DDR war bisher ausgeblieben. So mussten wir uns beugen und Anlage IX des Staatsvertrages akzeptieren, die den Eigentumserwerb privater Investoren an Grund und Boden freigab. Der Wirtschaftsausschuss und der Ausschuss »Deutsche Einheit« der Volkskammer konnten nur noch einmal an das Erbbauerecht erinnern und die Regierungen auffordern, doch noch »gesetzliche Regelungen zur Verhinderung von Spekulationen mit Grund und Boden« zu treffen. Dem haben die Regierungen jedoch nicht Rechnung getragen. Die Folge war: Es kam zu der erwarteten Wertsteigerung des Bodens, aber nicht nur, weil er zu DDR-Zeiten einen niedrigen Preis hatte, sondern weil das überschüssige westdeutsche Geldkapital diese Anlagemöglichkeit suchte und dabei steuerlich begünstigt wurde. Dadurch wurden die Bedingungen für produktive Investitionen aber gerade verschlechtert.

Der Hauptschlag wurde dem ostdeutschen Produktivvermögen schließlich durch die Währungsunion selber versetzt, die aber schon beschlossene Sache war, bevor die Verhandlungen zum Staatsvertrag begannen. Recht treffend hat der britische »Guardian« 1991 geschrieben, die Wirkung der Währungsunion gleiche der einer »ökonomischen Atombombe«.

Dr. Edelbert Richter war damals SPD-Abgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Volkskammer-Ausschusses »Deutsche Einheit«; jüngste Buchpublikation unseres Autors: »Die Linke im Epochenumbruch« (VSA, 304 S., 20,80 €).

Lesen Sie am 3. Juli im ND von Prof. Jörg Roesler: »Die Währungsunion – zum falschen Zeitpunkt und unfairen Kurs«

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