»I don't like Mondays« oder: Nette Nachbarn mit dem Finger am Abzug

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.
»Sag mir warum? Ich mag keine Montage! Sag mir warum? Ich mag keine Montage! Sag mir warum? Ich mag keine Montage! Ich möchte den ganzen Tag abknallen ...«
Dann ist es zu spät ... Fotos: himberry/photocase.com; dpa
Dann ist es zu spät ... Fotos: himberry/photocase.com; dpa

Bob Geldof schrieb diesen weltbekannten Song 1979 für die irische Band »Boomtown Rats«. Nur wenige, die ihn hören, wissen um die Hintergründe. Geldorf hatte ein Radio-Interview gehört, in dem die damals 16-jährige Brenda Ann Spencer »erklärte«, warum sie zum automatischen Gewehr gegriffen hat. Am 29. Januar 1979, einem Montag, hatte sie aus dem Fenster ihres Schlafzimmers auf dem gegenüberliegenden Schulhof der Grover Cleveland Elementary School in San Diego (Kalifornien) deren Schulleiter und den Hausmeister erschossen, einen Polizisten und acht Schüler verwundete: »I don’t like Mondays«... Frust! Die Woche beginnt übel.

Irgendwie wundert man sich, wenn man über längere Zeit nichts mehr von Amokläufen gehört hat – so sehr sind diese Vorfälle schon zur Normalität geworden. Auch der Ausspruch »bei den Amis ist alles möglich« zieht nicht mehr, seitdem Robert S. am 26. April 2002 gegen dreiviertel Elf mit einer Pump-Gun Mossberg 590 Mariner und einer Pistole vom Typ Glock 17 das Erfurter Guttenberg-Gymnasium betreten hat und in nur 25 Minuten ein bis dahin hierzulande unvorstellbares Blutbad angerichtet hat. Bilanz: 17 Tote.

Manch Bundestagsabgeordneter lässt sich nicht gern fragen, wann und wo er von dem Erfurter Amoklauf erfahren hat. Die Ehrlichkeit gebietet es nämlich zu sagen: Ich saß im Plenum (oder drückte mich davor?). Als Thema war am 26. April um 12.12 Uhr aufgerufen: Novellierung der deutschen Waffengesetzgebung. Vorgesehen war unter anderem die Senkung des Zugangsalters für Schusswaffen von zwölf auf zehn Jahre.

Kein Parlamentarier, der dafür war, will heute noch daran erinnert werden, dass die Mehrheit dafür war. Und natürlich waren alle Novellierungspapiere in dem Moment Makulatur, in dem die schrecklichen Nachrichten aus Erfurt den Deutschen Bundestag erreichten.

Umgehend schaltete die Politik den »Umkehrschub« ein. Man verschäfte das Waffenrecht und vermittelte der Öffentlichkeit den – zumeist verlogenen – Eindruck, Politiker seien lernfähig und gänzlich unabhängig von Lobbyisten. Man setzte das Zugangsalter wieder hoch. Wer Großkalibriges besitzen wollte, musste statt 18 nun 21 Jahre alt sein. Der Waffenerwerb durch Menschen unter 25 Jahren wurde an ein medizinisch-psychologisches Gutachten geknüpft. Gerade so, als ob bei einem Menschen, der älter ist als 25 Jahre, ein Anti-Amok-Gen die Kontrolle über den Gemütszustand von Menschen übernehmen würde.

Dann passierte Ähnliches in Winnenden. Am 11. März 2009 hatte ein 17 Jahre alter Amokläufer in den baden-württembergischen Kleinstädten Winnenden und Wendlingen 15 Menschen und sich selbst getötet. Die meisten Opfer waren Schülerinnen, Schüler und Lehrerinnen einer Schule. Der Täter hatte eine großkalibrige Pistole im Wäscheschrank seiner Eltern – Vater war Sportschütze – entdeckt und benutzt.

Medien berichteten fast in Echtzeit, man übertrug tagelang den Schock der Traumatisierten in nahezu jeden deutschen Haushalt. Die Folge? Natürlich ein neues Waffenrecht. Die damalige Bundesregierung aus Union und SPD verschärfte – via Parlament – am 25. Juli 2009 das Gesetz. Unter anderem können Behörden seitdem ohne Ankündigung kontrollieren, ob Besitzer ihre Waffen vorschriftsgemäß in Sicherheitsschränken verschlossen halten. Munition und Waffen dürfen nicht zusammen aufbewahrt werden. Auch dürfen junge Menschen erst ab 18 und nicht mehr ab 14 Jahren mit Großkaliberwaffen schießen.

Klingt nett, ist Unsinn. Denn obwohl Kontrolle besser ist als pauschales Misstrauen – was nützen Kontrollmöglichkeiten, die mangels fachlich kompetentem Personal nicht wahrgenommen werden können? Wer – wie es Bundesregierung und Parlament versuchen – die Verantwortung für Schusswaffen auf Mitarbeiter in Kommunen abwälzt, handelt grob fahrlässig.

So warnten und warnen Kritiker erneut, die Politik verkaufe mit der »Verschärfung« des Waffengesetzes abermals eine Mogelpackung. Die Polizeigewerkschaft GdP erinnerte an ihre – in der Realität geborenen – Vorschläge, die in den Schubladen von zahlreichen Abgeordenten vermodern.

Das liegt unter anderem daran, dass das deutsche Waffenrecht so kompliziert ist, dass selbst Fachleute es nicht durchschauen. Es sei denn, sie werden von der Waffenlobby bezahlt. Hastige Reaktionen, die auf öffentlichen Druck erfolgen, sind kontraproduktiv. »Die heiße Nadel hat das Paragrafenwerk mehr beschädigt als ausgebessert«, schreibt Lars Winkelsdorf in seinem höchst lesenswerten Buch »Waffenrepublik Deutschland«.

Nicht folgen sollte man ihm vielleicht in der Ansicht, dass es in Deutschland – anders als beispielsweise in den USA – keine Waffenlobby gebe. Wahr ist: Hierzulande stehen in der ersten Reihe der Waffenbefürworter nicht Konzerne wie Sauer oder Walther. Nein, sie schicken »Freizeit-Sportler« und »Jäger« – darunter viele mit dem Kürzel MdB hinterm Namen – vor, die sich ihre Freizeitgestaltung nicht reglementieren lassen wollen.

Ein Fall für Sozialpsychologen ist das Thema allemal: Freie Fahrt – und Feuer frei – für freie Bürger ...?

Wenn Wähler Beihilfe leisten

Winnenden liegt im Wahlkreis Waiblingen. Und Waiblingen unweit von Stuttgart. Man kann nicht sagen, dass hier das soziale Elend junge Menschen zur Waffe greifen lässt. Umso betroffener reagierten die Menschen auf die Amoktat vom 11. März 2009.

Es wäre selbstverständlich falsch anzunehmen, dass das schreckliche Geschehen an der Schule von Winnenden für den Bundestag wahlentscheidend hätte sein können. Doch es war ein Thema im Wahlkampf. So hätte man meinen können, dass die FDP, die als Gesamtpartei jeden Schützenverein, jedes Waffengeschäft und jeden Jäger quasi unter freiheitlich-demokratischen Parteischutz stellt, abgestraft wird. Deren Waiblinger Kandidat hieß Hartfrid Wolf. Er ist nicht durch Forderungen wider Waffenbesitz aufgefallen.

Gleichfalls wäre zu erwarten gewesen, dass ein linker Sozialdemokrat wie Hermann Scheer Auftrieb erfährt. Schließlich hat der sich als kompromissloser Waffenverbieter geoutet.

Erwartungen sind das Eine, der Souverän Wähler und sein Wille das Andere. Scheer verlor im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen 11,45 Prozent. Der FDP-Mann Wolff legte 6,17 Prozent zu. Setzt man das Ergebnis von CDU-Mann Joachim Pfeiffer, der 44,46 Prozent der Wählerstimmen einsammelte, dann bleibt unterm Strich, dass die Bürger den Pro-Waffen-Parteien ihre Stimme gegeben haben.

Um jedem geistig-politischen Kurzschluss den »Saft« zu nehmen: Die Bundestagswahl war kein Referendum für oder gegen Waffen in Privatbesitz. Sicher ist jedoch auch, dass ein Thema wie der Amoklauf von Winnenden – so sehr er die Gemüter für einen Augenblick berührt haben mag – gesamtpolitisch nicht ins Gewicht fällt. Auch wenn es absurd klingt, das ist ein Tatbestand, der Bürgerinitiativen antreiben sollte. hei

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