»Es gibt eine Schreckensmauer«

Ex-Teamchef Hans Michael Holczer über den deutschen Profiradsport und seinen Niedergang

  • Lesedauer: 4 Min.
HANS MICHAEL HOLCZER kennt den Profiradsport wie kaum ein Zweiter. Mit der Gründung des Teams Gerolsteiner Ende 1998 übernahm er die Position des Teammanagers, bis er vor zwei Jahren in folge der Dopingfälle der Gerolsteinerfahrer Bernhard Kohl und Stefan Schumacher von seinem Posten zurücktrat. Seither beobachtet er das Profigeschehen von außen und engagiert sich selbst im Breitensport. Mit TOM MUSTROPH spricht Holczer (Foto: dpa) über den Profiradsport in Deutschland und das Doping-Problem.

ND: Herr Holczer, ist nach dem Aus von Team Milram, das ja nur zwei Jahre nach dem Aus Ihres eigenen Rennstalls folgte, der Radsport in Deutschland tot?
Holczer: Das Tal, in dem sich der deutsche Profiradsport befindet, ist tief. Das größte Problem daran ist, dass es für Nachwuchsfahrer jetzt schwieriger wird, sich zu entwickeln. Sie müssen in ausländische Rennställe. Die nehmen aber lieber junge Fahrer der eigenen Nation. Bis ein junger deutscher Fahrer dort Chancen erhält, muss er schon sehr gut sein. Der Radsport insgesamt ist in Deutschland aber nicht tot. Nach dem Ende meines Rennstalls habe ich den Radsport für mich selber wieder entdeckt. Letzten Dienstag bin ich frühmorgens los und habe 170 km zurückgelegt. Für Skoda war ich bei zwei Jedermannrennen: den Cyclassics in Hamburg und dem Velothon in Berlin. Wir organisieren auch einzelne Trainingssessions für ambitionierte Hobbyfahrer, also solche ohne Verein. Wir haben noch diese Infrastruktur mit Funkgeräten, Servicefahrzeugen, Mechanikern und Physiotherapeuten.

Das ist sicherlich nur für einen begrenzten Kreis von Leuten gedacht?
Ja, an einem Wochenende in Berlin waren das 40 Leute, in Isny zwölf. Aber die großen Zahlen sind die 13 500 vom Velothon und die 22 000 bei den Cyclassics. Die Schere zwischen dem Profiradsport, der sich in Deutschland im Niedergang befindet und der Begeisterung der Hobbysportler ist maximal geöffnet. Das ist total konträr. International ist aber auch der Profiradsport nicht tot, wie nicht nur der Zulauf bei der Tour de France beweist.

Warum befindet er sich in Deutschland aber im Niedergang?
Die Sponsoren wollen ungern rein, weil das Geschäft mit dem Doping in den letzten Jahren so intensiv betrieben wurde. Es gibt eine Schreckensmauer, die den Einstieg verhindert. Und das passiert trotz der ganzen Untersuchungen, die besagen, ein Dopingfall schlage nicht auf die Marke durch, sondern bliebe nur am Fahrer und am Team hängen. Doch die mediale Berichterstattung hat in der Öffentlichkeit und auch in den Kreisen der Entscheider ein Bild gezeichnet, dass es als Harakiri erscheinen lässt, sich hier zu engagieren.

Aber das Doping war doch zuerst da. Erst dann kam das Schreiben über das Doping.Natürlich. Doping ist im Radsport tief verwurzelt. Im Ausdauerbereich ist der Effekt regelrecht berechenbar. In anderen Sportarten ist das etwas anders, allerdings nur auf den ersten Blick. Das Problem ist die Selbstverständlichkeit, mit der manche an diese Thematik herangehen. Doping trägt Züge von Drogenkonsum: Es gibt einen, der sie einführt, der ihnen zeigt, wie das geht und davon schwärmt, was es bringt. Zunächst glaubt man, man hätte es unter Kontrolle. Und am Ende ist es so, dass man die Welt spaltet: Man weiß, dass man es tut. Auf der anderen Seite redet man es sich ein, dass es gar nicht stattgefunden habe und irgendwann ist man selbst davon überzeugt, dass es nicht stattgefunden hat. Die Versuchung zu Doping ist stark. Denn wenn man Erfolg hat, hat man auch Aufmerksamkeit. Man ist in den Medien. Man erhält viel Geld.

Sie zeichnen ein Bild, dass es geradezu zwangsläufig erscheinen lässt, zu dopen!
Ich sage: Man sollte alle sportlichen Höchstleistungen mit gebremster Euphorie sehen. Das ist eine klasse Position, wenn man alles hinterfragt. Wenn einer dann positiv ist, hat man recht gehabt, wenn nicht, naja dann ist der eben cleverer gewesen als die anderen, obwohl es genügend gibt die nicht dopen. Fakt ist: Doping sieht man keinem an.

Was soll man tun?
Ich wäre für höhere Strafen. Wir haben bei der Pro Tour die 4-Jahressperre eingeführt. Aber es hält sich niemand daran. Jeder hat Angst, vom anderen übervorteilt zu werden. Das führte dann dazu, dass Ivan Basso noch in seiner tiefsten Sperre einen Vertrag erhalten hat, mit der Begründung: Wir haben ihn da unter Kontrolle. Doch unter Kontrolle haben Sie nie jemanden. Das ist meine Erfahrung. Ich hatte auch gedacht, ich könne das in vertretbarer Weise in den Griff bekommen. Ich habe schon sehr genau hingeschaut und viel mit den Ärzten geredet. Vermutlich habe ich aber auch Ärzten vertraut, denen ich nicht hätte vertrauen sollen.

Pat McQuaid, der Präsident der UCI, ist überzeugt, dass durch den Blutpass das Peloton sauber geworden ist. Als er zum Giro kam, hat der dem ganzen Feld eine ›card blanche‹ erteilt. Ihre Aussagen legen nahe, dass man dies nicht tun sollte.
Der Blutpass ist ein Meilenstein und man muss diesen Weg fortsetzen. Das steht außer Frage. Grundsätzlich sollte man mit solchen Äußerungen aber vorsichtig sein. Die Behauptung, es gebe jetzt ein sauberes Feld, widerspricht meinen Erfahrungen. Ich würde es leiser sagen und die Schlupflöcher im Kopf behalten. Die Hürden werden größer, das ist richtig. Die Wege außen herum werden deshalb weiter. Sie sind aber nicht abgeschnitten.

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