Zu viel Männlichkeit macht krank

Warum alle Menschen von einer globalen Frauenemanzipation profitieren würden

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 6 Min.

Als Herbert Grönemeyer vor 26 Jahren seinen Hit »Männer« veröffentlichte, dürfte er damit so manche Feministin verärgert haben. Heißt es darin doch: »Männer sind so verletzlich, Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich.« Ganz anderer Meinung ist da die Schriftstellerin Luise F. Pusch, von der die Bemerkung stammt: »Wir Frauen wissen eigentlich gar nicht so genau, warum die Männer da sind. Sie sind halt da, und das ist schlimm genug.«

Nun muss, wer so redet, sich am Ende nicht wundern, wenn Männer aus lauter Verärgerung erst recht ihre sozialen Rollenklischees pflegen. Wer dagegen ernstlich die überkommenen politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse verändern möchte, sollte sich eher um einen Dialog der Geschlechter bemühen. Das meint im Kern auch die Journalistin und »taz«-Mitbe- gründerin Ute Scheub, die in ihrem Buch »Heldendämmerung« überzeugend darlegt, dass überall dort in der Gesellschaft, wo ausschließlich Männer herrschen, Gewalt und andere asoziale Verhaltensweisen an der Tagesordnung sind.

Die Belange von Frauen bleiben dabei zumeist auf der Strecke, wie einige statistische Zahlen einprägsam belegen. So ist derzeit knapp die Hälfte der Weltbevölkerung weiblich. Dennoch verrichten Frauen zwei Drittel aller Arbeiten, besitzen im weltweiten Durchschnitt aber nur etwa ein Prozent des Eigentums. Und natürlich werden sie schlechter bezahlt. Selbst in einer modernen Industrienation wie Deutschland verdienen Frauen rund 24 Prozent weniger als Männer. Was dabei besonders erstaunlich ist: Die größten Gehaltsunterschiede findet man in den Führungsetagen der Wirtschaft. Hier erhalten zum Beispiel studierte Managerinnen, die über 50 sind, oft nur die Hälfte dessen, was ihre männlichen Kollegen kassieren.

Auch in der Politik sind es vor allem Männer, die an den Schalthebeln der Macht sitzen. Allerdings geben viele dort ein recht klägliches Bild ab, wie Scheub in ihrem Buch an zahlreichen Beispielen illustriert. Da wäre etwa Wladimir Putin, der in den Medien gern den harten und furchtlosen Macher gibt und auf Fotos seinen muskulösen Oberkörper präsentiert. Überhaupt ist männliches Machogehabe in Russland seit Jahren weit verbreitet. So sterben in der dortigen Armee jährlich etwa 3000 Rekruten an den Folgen von körperlichen und sexuellen Misshandlungen durch ältere oder ranghöhere Soldaten. Und was sagt Putin? Als er 2006 erfuhr, dass der israelische Präsident Mosche Katzaw zehn Frauen vergewaltigt haben soll, ließ er sich in dem Glauben, dass alle Mikrofone abgeschaltet seien, zu dem Spruch hinreißen: »Was für ein starker Kerl. Wir alle beneiden ihn.«

Auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Italiens Premier Silvio Berlusconi bedienen in fast schon peinlicher Weise traditionelle Männlichkeitsklischees. Dazu gehört namentlich die Vorliebe für junge attraktive Frauen, mit denen man sich gern in der Öffentlichkeit zeigt. Von Berlusconi stammt außerdem der üble Satz, dass italienische Frauen viel zu schön seien, als dass man Vergewaltigungen ganz verhindern könne. »Das einzige Glück für Italien ist«, meint Scheub, »dass sich sein Chef weniger für Panzer und Kampfjets als für Blondinen interessiert.« Bei US-Präsident George W. Bush war das anders; zumindest sind Seitensprünge von ihm nicht bekannt geworden. Dafür demonstrierte er den »EUnuchen«, so nennen US-Militärs abfällig die Europäer, wie man mit fingierten Belegen einen Angriffskrieg vom Zaun bricht.

Zunehmend verwandelt sich auch die Wirtschaft in eine Art Kriegsschauplatz, auf dem brutal und rücksichtslos gekämpft wird. Dabei gelte es, »keine Gefangenen zu machen«, sagt Mark Stevens, Chef einer US-Marketingfirma. Vielmehr müsse es das Ziel einer erfolgreichen Geschäftselite sein, möglichst hohe feindliche Verluste zu erzielen. Denn, so Stevens weiter: »Je weniger gegnerische Truppen am nächsten Tag weiterkämpfen können, desto besser.« Wie sich leicht denken lässt, wird ein solches Gebaren auch auf unteren Führungsebenen nachgeahmt, so dass sich eigentlich niemand zu wundern braucht, warum in der modernen Arbeitswelt die Sitten weltweit verrohen.

In ihrem Buch kommt Scheub zu der Einschätzung, dass die Männer gegenwärtig in einer tiefen Existenzkrise stecken und sich von der wachsenden Frauenemanzipation bedroht fühlen. Ob dem tatsächlich so ist, mag hier dahingestellt bleiben. Zumindest in den Industrienationen scheint die herrschende männliche Elite kaum von Selbstzweifeln geplagt. Unstrittig hingegen ist, dass die heutigen Produktionsverhältnisse die Welt immer näher an den sozial-ökologischen Abgrund führen. Gibt es eine Alternative dazu?

Von dem argentinischen Arzt und Schriftsteller Ricardo Coler stammt der bemerkenswerte Satz: »Wo die Frauen das Sagen haben, leben auch die Männer besser.« Oder anders herum formuliert: In männerdominierten Gesellschaften sind in manchen Bereichen die größten Verlierer die Männer selbst. Denn auf Grund ihres stressigen und konkurrenzbetonten Lebensstils sterben sie im Schnitt sechs bis acht Jahre früher als Frauen. Und sie sterben deutlich häufiger durch Gewalt, Selbstmord, Unfall, Alkoholsucht und Drogenmissbrauch. »Die Ideen, die uns glauben machen, wir seien ›wirkliche Männer‹, sind genau die Dinge, die unsere Gesellschaft gefährden«, konstatiert der US-Soziologe Michael Kimmel.

Da diese Gefährdung längst globale Dimensionen angenommen hat, wird es für Frauen und Männer immer dringlicher, etwas dagegen zu tun. Aber was? Nach ihrer brillanten Analyse des sozialpolitischen Ist-Zustandes widmet Scheub sich auch diesem Problem – mit einer, wie sie schreibt, guten Nachricht: »Die Lösungen für sämtliche Weltprobleme sind vorhanden. Sie müssen nur politisch durchgesetzt werden.« Die Frage, die allerdings bleibt, ist die Frage nach dem Wie. Wie soll man von Macht und Geld berauschte Männer dazu bringen, auf ihre Privilegien zu verzichten? Würden diese notfalls nicht lieber einen Krieg anzetteln, als sich von den Schalthebeln der Macht vertreiben zu lassen?

Wenn überhaupt, dann liegt die Chance zur Veränderung bei den Heranwachsenden. So werden die Mädchen von heute kaum noch angehalten, sich an den Weiblichkeits-Idealen ihrer Großmütter zu orientieren. Bei den Jungen ist das anders. In deren Erziehung und Sozialisation haben sich viele Klischees von Mannsein und Männlichkeit über Jahrzehnte hinweg nahezu unverändert erhalten. Würden sich auch hier die Geschlechterstereotype wandeln, bestünde durchaus die Hoffnung, dass in künftigen Generationen Männer und Frauen gleichberechtigt und respektvoll kooperieren – im Privatleben und im Beruf.

Ob es letztlich dahin kommen wird, weiß freilich niemand, auch Scheub nicht, die in ihrem Buch die Männer zwar hart und mit Recht kritisiert, aber ebenso milde hinzufügt: »Dass es Männer und Frauen gibt, ist eine Tatsache, und gewiss nicht die schlechteste, denn bekanntlich können sie sich gegenseitig ziemlich glücklich machen.«

Ute Scheub: Heldendämmerung. Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist. Pantheon Verlag München, 400 S., 14,95 €.

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