Puck, die Putzfrau

Die Antoni: 65

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Am Anfang steigt sie vom Wagen wie von einem Thron; ein fideler Mensch, Mutter Courage. Am Ende ächzt sie überfordert und verkrümmt an der Deichsel, ein Lasttier nunmehr, oder: Großmütterchen mit ihrer Bagage.

Brechts »Mutter Courage und ihre Kinder« am Berliner Ensemble, Regie: Claus Peymann. In der Titelrolle: Carmen-Maja Antoni. Sie war auch die Pelageja Wlassowa in Peymanns »Mutter«-Inszenierung. Eine Schauspielerin des späten künstlerischen Glücks. Weltdramatik und jeweilige Ortsdramaturgien sind ja eigentlich sehr sparsam mit Rollen (vor allem weiblichen), die in den Zeiten jenseits der Jugend noch einmal Hochgefühle im Protagonismus erlauben. Die Antoni hat es geschafft. Im Spannungsfeld von hartnäckigen Erinnerungen vieler Zuschauer ans alte BE und ebenso vielen misstrauischen, abwartenden Blicken auf dessen Neu-Zeit. Antoni verkörperte in dieser Neu-Zeit plötzlich am Hause am Schiffbauerdamm wie niemand anders das DDR-Theater des genauen sozialen Gestus, der aufklärerischen Helle, des plebejischen Kerngeschäfts einer geradlinigen Denkspielkunst – sie ist am Schiffbauerdamm das pfiffige, zähe, kleinegroße, herausragende Ost-Beharrungswesen im Wechsel der Prominenzen geworden. Die Altlast, gewandelt in eine Herzen ergreifende Altlust, Bindeglied zwischen den Zeiten. Immer steht dieses kauzige und zähe, wirblige und bodenständige Theaterkunstwesen Antoni für einen prinzipiellen Sieg des Schwachen über das Mächtige.

Es gibt unter den acteurs der Bühnenwelt die abweisend Königlichen, die Vergeistigten – Carmen-Maja Antoni ist das Gegenteil, und weil das Bedürfnis der Zuschauer am Schauspieler niemals nur ein rein ästhetisches ist, nein, man will im Gaukler – sozialpsychologisch begründet – immer auch ein wenig von der eigenen Seelenlage erkennen – just deshalb wirkte die knopfige Antoni, an diesem neuwestlichen BE, wie ein kräftiges Widerstandsnesthäkchen, sozusagen »eine von uns«, den Ostlern. Sie hätte gut und gerne auch bei Castorfs Volksbühne sein können, nun aber: die siegreiche Putzfrau David im Westpalast der Firma Goliath. Ausgestattet mit der Schleuder ihrer gereckten Unverfrorenheit – eine Waffe, die die Antoni in ihrem Spiel oft zückt, als wolle sie gleichzeitig um Verzeihung bitten, dass sie stets so unschuldig ins Schwarze der Verhältnisse trifft. Eine, in der ein Opfertier steckt. Glucke im Unglück. Oder Gans im Korb. Etwas von Fellinis Gelsomina hat sie; ihr Gesicht kann ganz der Puck Shakespeares sein oder aber tragisch zu einer Wurzel verknotet, die immer nur ausgerissen wird.

Studiert hat sie an der Babelsberger Filmhochschule, Theater gespielt in Potsdam, an bereits erwähnter Volksbühne – und seit 1977 ist sie am Berliner Ensemble. Gestern wurde Carmen-Maja Antoni 65 Jahre alt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal