Mapuche-Widerstand gegen den »neuen Kolonialismus«

Hungerstreik von chilenischen Indígenas geht in die siebte Woche

  • Lesedauer: 3 Min.
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre

Im wochenlangen Hungerstreik von 32 Mapuche-Indianern in Chile zeichnet sich kein Einlenken der Regierung ab.

Wenige Wochen vor den 200-Jahr-Feiern, mit denen in Chile der Unabhängigkeitskriege gegen Spanien gedacht wird, zeigt sich erneut, dass das koloniale Erbe noch lange nicht überwunden ist: Der Hungerstreik von 32 Mapuche-Aktivisten im Süden des Landes geht in die siebte Woche und kein Ende ist in Sicht. Im Gegenteil, vor Tagen wärmte der konservative Präsident Sebastian Piñera zwei Jahre alte Anschuldigungen auf, es gebe eine Zusammenarbeit militanter Mapuche mit der FARC-Guerilla. Mit der kolumbianischen Regierung habe er sich geeinigt, die Bande zwischen »terroristischen Gruppen« in beiden Ländern zu kappen, sagte Piñera.

Die gerechten und international anerkannten Forderungen der Mapuche würden kriminalisiert, sagte der katholische Priester Fernando Díaz gegenüber der Tageszeitung »La Tercera«. Damit wiederhole Piñera die Fehler seiner Vorgänger, sagte Díaz, der für die Mapucheseelsorge im Süden Chiles arbeitet. Die meisten der Hungerstreikenden sind unter Anwendung eines Antiterrorgesetzes aus der Pichochet-Diktatur (1973-1990) aus dem Jahr 1984 in Untersuchungshaft. »Obwohl sie viel Flüssigkeit einnehmen, verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand«, sagte Díaz.

Ihnen wird unter anderem versuchter Mord, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Gewalt gegen die Polizei, Brandstiftung, Beteiligung an Landbesetzungen und Holzdiebstahl vorgeworfen. Ihr Hungerstreik richtet sich gegen das Antiterrorgesetz, das Untersuchungshaft von bis zu zwei Jahren erlaubt. Den Anwälten wird der Zugang zu den Ermittlungsakten verwehrt, vor Gericht sagen häufig anonyme Zeugen aus.

Die Aktion zeige »die Verzweiflung der Mapuche, die sehen, dass sich alle Türen schließen und dass es keinerlei Bereitschaft gibt, zu reden und den Konflikt zuzugeben«, sagt Fernando Lira, einer ihrer Anwälte. 106 Indigene sind verurteilt, im Gefängnis oder stehen vor Gericht, fast doppelt so viele wie vor einem Jahr.

Díaz wirft der Regierung und den politischen Parteien Unverständnis gegenüber den Indígenas vor. Der prominente Mapuchechef Juan Catrillanca fürchtet, Piñera wolle »die Abkommen mit vielen Gemeinschaften«, die in den letzen Jahren unter Michelle Bachelet erreicht worden seien, ignorieren.

Den Mapuche, mit gut einer Million Angehörigen knapp sieben Prozent der chilenischen Bevölkerung, streiten für Selbstbestimmung und Land. Seit der Pinochet-Ära werden sie durch riesige Pinien- und Eukalyptusplantagen großer Zellstoffkonzerne zurückgedrängt, rund zwei Drittel der Plantagen liegen auf ehemaligem Mapucheterritorium. Die Zellulose wird zur Papierproduktion vorzugsweise nach Asien und Nordamerika exportiert. In der Nähe des Lleu-Lleu-Sees gibt es zudem große Bergbau- und Erdgasprojekte.

Die Justizbehörden messen mit zweierlei Maß: Während die Terrorgesetzgebung zu 90 Prozent gegen die Indigenen eingesetzt wird und ihnen bis zu 103 Jahren Haft angedroht wird, bleibt die Repression gegen sie nahezu folgenlos: Ein Polizist, der 2008 einen Mapuche erschossen hatte, wurde vergangenen Donnerstag zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Doch mit der Unterdrückung wächst der Widerstand: »Die Mapuche sind nicht mehr dieselben wie vor 20 oder 30 Jahren«, sagt Priester Fernando Díaz, »heute haben sie ein viel größeres Bewusstsein über ihre Rechte.« Die bevorstehenden Unabhängigkeitsfeiern oder Sonntagsreden über ein multikulturelles Chile betrachten sie mit Argwohn. »Sobald es um politische Themen geht, kommt die Regierung mit Repression«, sagt ihr Sprecher Enrique Antileo, »das ist der neue Kolonialismus«.

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