Alte Ungerechtigkeiten durch neue ersetzt

Zwischenbilanz Unterhaltsrecht: Anwälte sehen Änderungsbedarf

Das Thema Unterhaltsrechtsreform hat gut zweieinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten nicht an Brisanz verloren. Der Deutsche Anwaltverein sieht großen Verständigungsbedarf und fordert gesetzliche Klarstellungen. Die Einzelfallprüfung habe nicht zu mehr, sondern zu weniger Gerechtigkeit geführt.

Bei einem der letzten ARD-Tatorte am Sonntagabend wird eine geschiedene Mutter zweier Kinder zur Mörderin. Sie hat Angst, dass sie und ihre beiden Kinder durch die neue Familie ihres Ex-Ehemannes zum Sozialfall wird. Denn mit seiner Heirat und Geburt eines weiteren Kindes würde er an sie weniger zahlen. Der Film schildert zuvor recht genau die verschiedenen Blickwinkel, die es beim Thema Unterhalt gibt: So wirft der berufstätige Mann der Ex vor, auf seine Kosten zu leben, statt sich eine Arbeit zu suchen. Sie verweist dagegen auf ihre Erziehungsarbeit und darauf, dass sie nach mehr als 15 Jahren abseits des Berufslebens keinen existenzsichernden Job findet.

Die Geschichte spiegelt zentrale Probleme, mit denen sich Familiengerichte regelmäßig beschäftigen müssen und, wie der Deutsche Anwaltverein (DAV) am Montag monierte, immer häufiger zum Nachteil der Ex-Frauen entschieden, um deren Ansprüche es bei Unterhaltstreitigkeiten in 99,5 Prozent der Fälle geht. Die Zwischenbilanz fast drei Jahre nach Einführung des neuen Unterhaltsrechts zeigt, was herauskommt, wenn ein modernes Familienbild zwar Grundlage eines Gesetzes, aber nur eines Teils der real existierenden Partnerschaften ist. So wurden mit der Reform alte Ungerechtigkeiten durch neue ersetzt, wie die DAV-Familienrechtler darstellten, die insbesondere auch eine neu entstandene Rechtsunsicherheit beklagten. Anlässlich einer Fachtagung zum Thema forderten sie deshalb am Montag gesetzliche Nachjustierungen und von Richtern mehr Sensibilität bei den Entscheidungen.

Das bis 2008 geltende Unterhaltsrecht war an dem in der Bundesrepublik verbreiteten Modell der Hausfrauen-Ehe orientiert. Die unter Schwarz-Rot vorgenommene Reform war als angemessene Anpassung an flexiblere und emanzipierte Lebensentwürfe vielfach begrüßt worden. Das Problem daran ist nun offenbar in der Praxis, dass diejenigen Frauen bestraft werden, die dem alten Leitbild entsprochen haben und deren Ehemänner bis zur Scheidung auch ganz zufrieden mit dem Arrangement waren. Die gesetzliche Neuerung, Unterhaltsansprüche begrenzen und befristen zu können, hat Ex-Ehemännern jedenfalls eine starke Waffe in die Hand gegeben. Eigentlich nur als Ausnahme gedacht, werde nun in jedem Unterhaltsprozess darüber gestritten, berichtet Rechtsanwältin Ingeborg Rakete-Dombek, die die AG Familienrecht beim DAV leitet. Denn anders als früher, als die Ex-Frau in der Regel auf Lebenszeit abgesichert war, wird heute von Fall zu Fall nach einer Lösung gesucht. Die Frau muss dabei nachweisen, dass sie durch die Ehe einen Nachteil in ihrem Lebenslauf erfahren hat und deshalb auf kompensierende Unterhaltszahlungen für sich selbst oder für ihre Kinder Anspruch hat. Aber wie soll sie beweisen, dass sie ohne die Ehe vielleicht etwas anderes gemacht hätte oder wie viel Zeit objektiv für die Kinderbetreuung notwendig ist? Für Rakete-Dombek wären hier klare Kriterien nötig. Diese sollten auch die institutionellen Rahmenbedingungen einbeziehen, die der geforderten Eigenverantwortung Grenzen setzen. Wo es keine Kita-Plätze und Ganztagsschulen gibt, sei es für Frauen gar nicht möglich, eine volle Stelle anzunehmen.

Der Ausgang der Gerichtsverfahren um Unterhalt ist mittlerweile unkalkulierbar: »Wir können Mandanten nicht mehr sicher vorhersagen, was bei ihrem Prozess herauskommt«, beklagt Rakete-Dombek. So werde beispielsweise aus der Formulierung im Gesetz, eine Mutter müsse bis zum dritten Lebensjahr des Kindes nicht erwerbstätig sein, für die Zeit danach von Gerichten regelmäßig eine Pflicht zur Arbeitssuche abgeleitet und Unterhalts- oder Betreuungsgelder versagt.

Besonders kritisch sehen die Praxisvertreter die Anwendung des neuen Unterhaltsrechts auf alle, die vor der Reform geheiratet haben. Diese hätten die Ehen unter den alten Vorzeichen geschlossen. Was das im Einzelfall bedeuten kann, machte die Rechtsanwältin Ingrid Groß am Beispiel einer 60-jährigen gelernten Apothekenhelferin deutlich. Sie zog zwei Kinder groß und hatte einen Geringverdiener-Job. Nach 23 Ehejahren kam die Scheidung. Ein Gericht befristete die Unterhaltspflicht ihres Ex-Gatten auf zwölf Monate nach der Scheidung. Dass diese Frau keinerlei Aussicht auf einen Ganztagsjob hat, wurde nicht als »ehebedingter Nachteil« anerkannt. Für Anwältin Groß ein skandalöses Urteil. Sie fordert, die Nachweispflicht eines ehebedingten Nachteils ab einer bestimmten Zahl der Ehejahre aus dem Gesetz zu streichen. Der liege auf der Hand.

Der Deutsche Anwaltverein sieht aber nicht nur Handlungsbedarf beim Gesetzgeber. Verantwortung liegt auch bei den Richtern, die oftmals zu »rüde« urteilten, so der Vorwurf der Anwaltsseite. Durch die Einzelfallprüfung gibt es viel Spielraum, in die persönliche Erfahrungen und Grundeinstellungen etwa zur Frage der Kinderbetreuung einfließen. Rechtsanwältin Rakete-Dombek wollte mit der Tagung am Montag auch bei ihnen dafür werben, dass Rechtsprechung »lebensnah« bleibt. Die Richter sollten sich mehr in die Betroffenen hinversetzen, über deren Leben sie entscheiden.

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