Man merkt es an den Rollkoffern

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Christoph Twickel hat am Beispiel von Hamburg Bewegungen gegen die Aufwertung von Stadtvierteln untersucht.

Am Elbhang von Hamburg-Altona tauchen derzeit immer wieder gefälschte Schreiben der Stadt auf: Endlich werde hier die »Lücke« geschlossen, ist darin zu lesen. Andere Fälscher haben gleich den ganzen Spazierweg am Hang als »Sichtachsen-Wanderweg« neu ausgeschildert, auf dem Logo haben sich die Türmchen aus dem Stadtwappen in zwei Wolkenkratzer verwandelt. Am Ende desselben Parks sammeln die Bewohner der historischen Elbtreppenhäuser Unterschriften gegen den Abriss des idyllisch unter Bäumen verschwindenden Arbeiterwohnensembles. Im zentralen Gängeviertel macht die Besetzung eines ganzen Straßenzuges durch Künstler von sich reden – und auch sonst hat sich in Hamburg ein ganzes Netzwerk von Initiativen gebildet, die für ihr jeweiliges »Recht auf Stadt« angetreten sind: Von Mietervereinen über Schrebergärtner oder Anwohner, die einen Ikea-Markt bekämpfen, bis hin zu den Ex-Hausbesetzern um die Hafenstraße in St. Pauli, die mit dem »Bernhard-Nocht-Quartier« eine neue Luxusnachbarschaft bekommen sollen.

Zögerliche Dissidenz

Nirgends ist die Dichte, der Einfallsreichtum und das Beharrungsvermögen stadtpolitischer Initiativen größer als in Hamburg. Christoph Twickel zeigt in seinem Buch, warum: Die Geschichte des modernen Stadtmarketings, der Umformung und Inwertsetzung lässt sich in Deutschland anhand keines anderen Beispiels besser erzählen. Die Hansestadt war nicht nur die erste deutsche Stadt, die sich in den Achtzigern ein Leitbild als »konkurrierender Standort« gab und sich eine Marke verpasste (»Das Hoch im Norden«). An der Elbe greifen zudem ganz verschiedene Tendenzen urbaner Kapitalisierung: Nicht nur die als »Gentrifizierung« derzeit in aller Munde befindliche semi-selbsttätige Verwandlung innenstädtischer Arbeiterquartiere in schicke »Szene«Habitate, sondern auch weniger subtile Prozesse wie die Schaffung eines »neuen Stadtzentrums« in der Hafen-City – auf privaten Gewinn und öffentliches Risiko.

Der Buchtitel »Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle«, entlehnt von einem Wagenburgler-Plakat, täuscht insofern ein wenig. Das aber wird man dem 120 Seiten starken Bändchen gerne nachsehen. Twickel, selbst Sprecher der Initiative »Not in our Name, Marke Hamburg«, die sich mit einem vielbeachteten Künstlermanifest in die Debatte eingeschaltet hat, will nicht missionieren. Vielmehr scheint die »zögerliche Dissidenz«, die der Autor bei den Gängeviertel-Leuten als habituelles Erfolgsrezept ausgemacht hat, auf sein Buch abgefärbt zu haben. Lakonisch erläutert er die Entwicklung stadtplanerischer Konzepte seit dem Übergang zum Neoliberalismus zu Beginn der achtziger Jahre. Er konterkariert sie aber auch in Interviews mit Aktivisten, die vor Widersprüchen nicht haltmachen: Dass sich zum Beispiel die Attraktivität eines Gebiets für »Investoren« manchmal gerade durch den als radikalen Schick verkaufbaren Widerstand noch steigert: »Wie soll man etwas bekämpfen, das man doch selbst produziert?«

Twickel gibt darauf keine Antwort. Dafür aber einen sicheren Hinweis, woran man das Gentrifidingsbums im eigenen Wohnumfeld erkennen kann: Wenn man vom Schreibtisch aus mehr Rollkoffer als Gemüselaster hört.

Christoph Twickel: Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle, Hamburg 2010, 9,90 Euro.

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