Lebensmut trotzt der Verzweiflung

20 Jahre »musica reanimata«: ein Förderverein entdeckt NS-verfolgte Komponisten neu

  • Liesel Markowski
  • Lesedauer: 3 Min.

Nun können sie auf zwanzig erfolgreiche Jahre zurückblicken: die unermüdlich aktiven Mitglieder des Fördervereins »musica reanimata«, die sich für Wiederentdeckung von rassistisch und politisch durch das Naziregime verfolgten Komponisten und deren Werke einsetzen. Eine bemerkenswerte Bilanz kann heute daraus gezogen werden. Verschütteter Reichtum einer verdrängten Musik wurde ans Licht der Öffentlichkeit geholt, heutigen Hörern zugänglich gemacht. Zumeist durch »Gesprächskonzerte«, in denen sich Information über neue Forschungsergebnisse mit neuen Darbietungsformen verbinden sollen. Allein 95 dieser besonderen Begegnungen mit Vergessenem haben inzwischen stattgefunden, vornehmlich im Musikclub des Berliner Konzerthauses, meist gut besucht, wie festgestellt werden kann.

Es ist vor allem der selbstlosen Bemühung des Vereins zu danken, dass durch Forschung, Dokumentation (Schriftenreihe »Verdrängte Musik«), Aufführung und mediale Verbreitung eine lebendige Rezeptionsgeschichte angestoßen wurde. Partner dabei waren und sind neben dem Konzerthaus und dem Deutschlandfunk das Dresdner Zentrum für Zeitgenössische Musik, die Universität und Musikhochschule Köln und das Musikinstrumentenmuseum Berlin. Eine hoffnungsvolle gesellschaftliche Gemeinschaft, demokratisch per se.

Das Jubiläum wurde nachdrücklich im Konzerthaus gefeiert: mit einer Podiumsdiskussion über Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten bei der Wiederentdeckung und drei Musikprogrammen: »Chanson und Satiren« in Theresienstadt, Exil Los Angeles, beide plus Gespräch, und einem Festkonzert »Kammermusik in Theresienstadt«.

Das einstige Ghetto im heutigen Tschechien war ein Schwerpunkt der bisherigen Arbeit von »musica reanimata«. Viele Komponisten und Musiker haben hier unter dem Naziterror gelitten. Aber sie haben auch komponiert und musiziert, aus Trotz und mit Lebensmut. Erstaunlich war an diesem Abend zu erleben, mit welcher Intensität und auf welchem Niveau dort gearbeitet worden ist, künstlerisch wie organisatorisch für ein eigenes Kulturleben.

Sechs Komponisten kamen zu Gehör mit Stücken für Klavier, Streichtrio und begleitetem Sololied: Gideon Klein, Hans Krása, Victor Ullmann, Pavel Haas, Siegmund Schul und Karel Reiner. Kraftvoll, ja draufgängerisch, zeigte sich die Klaviersonate (1943) mit energischem »Allegro con fuoco«, von dem auch das mitreißend kühne Trio (1944) des erst zweiundzwanzigjährigen Gideon Klein durchdrungen scheint. Ebenso leidenschaftlich wirken Passacaglia und Fuge für Streichtrio (1943) von Hans Krása (durch seine Kinderoper »Brundibar« bekannt geworden). Eindrucksvoll besonders das Instrumentale: eine spielerisch und aggressiv gesteigerte Klaviersonate (1943) von Victor Ullmann – wie Kleins Stück durch Holger Groschopp brillant gespielt.

Ansprechend auch die Streichermusiken, vom »Trio Quodlibet« (Violine, Bratsche Cello) inspirierend und adäquat gespielt, so das Können der Komponisten beweisend: mit Krásas Passacaglia und Fuge (1943), nicht weniger einem Duo Tschassidischer Tänze für Bratsche und Cello (1944) von Siegmund Schul und mit Karel Reiners späterem Klaviertrio (1965).

Im Vokalen gab es eine interessante Werkauswahl, aber Mängel der Interpretation. Wunderschön in ihrer klingenden Poesie sind Ullmanns Hölderlin-Vertonungen. Leider wurden sie jedoch – ähnlich den Krása-Liedern unter anderem nach Rilke – von der Sopranistin Katharina Göres in opernhaftem Forte recht einseitig gesungen, trotz zuverlässiger Klavierbegleitung Gottfried Eberles nicht überzeugend. Ähnlich bei Vertonungen chinesischer Poesie (1944) von Pavel Haas: Der dankenswert für den eigentlich vorgesehenen, verhinderten Sänger eingesprungene Philippine Jonathan de la Paz Zaens wartete ebenfalls mit wunderbaren Stimmqualitäten auf. Er präsentierte sich aber in vokaler Opernpracht auf natürlich den wenigsten Anwesenden verständlichem Tschechisch, der Vertonung des Komponisten. Schade.

Offen bleibt die Frage, wie unter den bedrohlichen, todesnahen Umständen des Theresienstädter Elends so vitale, zum Teil frohe Musik entstehen konnte. Lebenswille gegen Verzweiflung? Wir müssen sie weiterhören, kenenlernen.

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