Die Diktatur des Glücks

Barbara Ehrenreich über Risiko und Nebenwirkungen des »positiven Denkens«

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 6 Min.

»Nichts auf der Welt wirkt so ansteckend wie Lachen und gute Laune.« Dieser Lebensregel des englischen Schriftstellers Charles Dickens wird sicherlich kaum jemand widersprechen. Denn für die meisten von uns sind fröhliche und freundliche Menschen im persönlichen Umgang angenehmer als solche, die alles bierernst nehmen oder nur rumnörgeln. Aber Vorsicht! Auch notorische Frohnaturen haben ihre schwermütigen Phasen, so wie Nörgler plötzlich vor Optimismus sprühen können. Beides gehört zum Menschsein dazu und ist häufig ein Reflex auf die jeweils herrschenden Umstände, in denen der Einzelne lebt.

Gleichwohl kursiert in unserer Gesellschaft seit Längerem die Verheißung, dass der Mensch sich von allen negativen Gefühlen befreien könne, sofern er dies wirklich wolle. »Denke positiv! Sei optimistisch! Glück, Gesundheit und Reichtum sind dann auch für dich erreichbar!« So lautet in aller Kürze die Botschaft von Leuten, die sich selbst Coaches oder Motivationstrainer nennen, und in Vorträgen und Seminaren gegen ordentliche Bezahlung die »Kraft des positiven Denkens« preisen.

Nun könnte man angesichts der vielen surrealen Heilsversprechungen, die dort offeriert werden, nur müde lächeln. Oder sich vielleicht verwundert fragen, warum so viele Menschen darauf hereinfallen. Beides tat anfänglich auch die amerikanische Schriftstellerin und Linkssozialistin Barbara Ehrenreich, bevor sie feststellte, dass sich hier eine gesellschaftliche Entwicklung anbahnt, die eine tiefere Analyse verdient. Zumal aus der angeblichen Kraft des positiven Denkens vielerorts längst eine Pflicht zum positiven Denken geworden ist, die Menschen zu Handlungen verleitet, die man nicht anders als vernunftwidrig bezeichnen kann.

Denn näher besehen beruhen die wohl klingenden Botschaften der »Positivdenker« auf dem Annahme, dass unsere Gedanken und Wünsche auf mysteriöse Weise die materielle Welt beeinflussen können. Dabei scheint nichts unmöglich zu sein, wie die australische Fernsehproduzentin Rhonda Byrne auf ihrer inzwischen zigtausendfach verkauften Ratgeber-DVD »The Secret« vorführt: Zuerst ist da eine Frau zu sehen, die vor einem Schaufenster steht und gebannt auf eine Halskette blickt. In der nächsten Einstellung trägt die selbe Frau die Kette am Hals. Wie ist dieses Wunder zu erklären, bei dem sogar ein Uri Geller vor Neid erblassen dürfte? Die Frau habe die Kette einfach durch ihre gedanklichen Anstrengungen angezogen, lautet Byrnes Antwort, die ihrem Publikum sogleich ein neues »Naturgesetz« präsentiert: Positive Gedanken ziehen positive Ereignisse an.

In der Esoterikbranche ist es bekanntlich schon seit Längerem üblich, selbst dem größten Schwachsinn das Etikett »wissenschaftlich gesichert« aufzuprägen. Und so suchen auch die Verfechter des positiven Denkens seit Jahren nach einer physikalischen Kraft, die in der Lage wäre, etwas Gewünschtes auf die wünschende Person zu lenken. Zunächst war allen Ernstes die Gravitation im Gespräch, dann der Magnetismus. Inzwischen bemüht man die Quantentheorie, die generell dafür herhalten muss, alles Unerklärliche irgendwie zu erklären. Auch Byrne zitiert in ihren Schriften gern »Experten« mit der Behauptung, dass der Mensch neben Teilchen aus Schwingungen bestehe, die es uns ermöglichten, die Fesseln des Determinismus und der Schwerkraft abzustreifen. Überdies folge aus der Quantentheorie, dass der Mensch zu jeder Zeit mit seinem Geist Materie erschaffen könne.

Für den US-Physiknobelpreisträger Murray Gell-Mann haben solche Auffassungen mit Quantentheorie rein gar nichts zu tun. Denn deren Gesetze wirken erst weit unterhalb der für die Übertragung neuronaler Impulse maßgeblichen Hirnstrukturen. Das heißt: Anders als viele Esoteriker uns glauben machen wollen, wäre es wissenschaftlich gesehen verfehlt, für die Beschreibung des menschlichen Denkens die Quantenmechanik zu verwenden. Und selbst wenn diese für den Verlauf einiger körperlicher Prozesse von Bedeutung wäre, hätte dies nicht den geringsten esoterischen Effekt zur Folge, da im Bereich des Makrokosmos die Quantenphänomene gleichsam ausgelöscht werden.

Sieht man daher von allen Fällen ab, die sich unter dem Begriff »Psychosomatik« subsumieren lassen, bleiben als Kern des Positivdenkens meist nur leere pseudowissenschaftliche Versprechungen übrig. Dass diese in unserer Gesellschaft dennoch so weit verbreitet sind, hat nicht nur mit dem vielen Geld zu tun, das sich damit verdienen lässt. Das Positivdenken ist zudem hervorragend geeignet, den Blick der Menschen weg von der Veränderung der sozialen Verhältnisse hin auf die Veränderung der eigenen Gefühlswelt zu lenken.

Wer etwa in seinem Job unterbezahlt sei, möge sich auf keinen Fall dagegen auflehnen, »warnen« manche Positivdenker. Stattdessen müsse der Betreffende nur fest daran glauben, bald reich zu sein, und das Geld werde ihm irgendwann von selbst zufallen. Die Philosophie, die sich hinter solchen Ratschlägen verbirgt, dürfte vor allem Unternehmer erfreuen. Denn sie verlegt die Ursachen für soziale Missstände in die Psyche des Einzelnen – nach dem Motto: Wer Hartz IV bezieht und seinen Kinder deshalb keine ordentliche Ausbildung finanzieren kann, ist einfach nicht optimistisch genug und glaubt zu wenig an seinen wirtschaftlichen Erfolg. Und als genüge eine solche Schuldzuweisung nicht, wird den betroffenen Menschen in zynischer Weise empfohlen, ihren Absturz in die Armut »als Chance« zu begreifen, um mit Hilfe des positiven Denkens langsam wieder die soziale Stufenleiter hinauf zu klettern.

Wie Ehrenreich schreibt, hätten sich namentlich in den USA, dem Mutterland des Zweckoptimismus, die Sanktionen gegen Menschen verschärft, die sich der Ideologie des positiven Denkens verweigerten. So heißt es etwa in dem viel gelesenen Ratgeber »So denken Millionäre«, dass dauerhaften Erfolg nur der habe, der sich von »negativen Personen« in seiner Umgebung befreie, wenn nötig, sogar in der eigenen Familie! Begründung: »Negative Menschen entziehen positiven Menschen Energie.« Auch wird empfohlen, keine Nachrichten mehr zu hören, um nicht mit dem Elend und Leid dieser Welt in Berührung zu kommen, da dies ebenfalls der Ausbreitung des positiven Denkens und des Glücks schade.

Um es noch einmal hervorzuheben: Ehrenreich hat keineswegs etwas gegen optimistische und glückliche Menschen. Was sie hingegen mit Intelligenz und Spott kritisiert, ist der ausufernde Kult um das positive Denken und die daran geknüpfte Vorstellung, dass »Sünde, Verbrechen, Krankheit und Armut« nichts als Produkte eines fehlgeleiteten Denkens seien. Im Grunde findet hier eine schleichende Abkehr von den Traditionen der Aufklärung statt, denen zufolge Menschen angehalten sind, die Dinge dieser Welt nichts als Projektion ihrer eigenen Wünsche zu sehen, sondern so, wie sie sich nach objektiven Gesetzen verändern und entwickeln. Es nütze daher wenig, die Übel des modernen Kapitalismus als »Chancen« schönzureden oder sie auf ein falsches Bewusstsein zurückzuführen, meint Ehrenreich: »Die Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, sind real und nur zu meistern, wenn wir uns nicht länger mit uns selbst beschäftigen, sondern beginnen, in der Welt tätig zu werden.« Zwar gebe es keine Garantie, dass den Menschen die Errichtung einer besseren Gesellschaft gelingen werde. Aber: »Es kann sehr befriedigend sein, es zu versuchen.«

Barbara Ehrenreich: Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. Verlag Antje Kunstmann, 254 S., 19,90 €.

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