Taktik-Training à la Tuchel

Der Mainzer Coach überraschte schon sechs Bundesligaklubs – heute soll Hoffenheim folgen

  • Mark Wolter
  • Lesedauer: 3 Min.

Thomas Tuchel hat keine Zeit. Zumindest nicht genug, um allen die Erfolgsgeschichte zu erklären. Journalisten aus ganz Europa standen in dieser Woche auf dem Trainingsgelände des FSV Mainz 05 Schlange, um den Trainer des Spitzenreiters der Fußball-Bundesliga zu befragen, vom unzähligen Klingeln des Telefons mal ganz abgesehen. Mit jedem kann der gefragte Coach nicht reden – und er will auch nicht. »Das entzieht mir nur Energie«, sagt Tuchel.

Der 37-Jährige hat Wichtigeres im Sinn. Der jüngste Trainer der Liga will seine Mannschaft auf die heutige Partie gegen 1899 Hoffenheim mit der gleichen Präzision vorbereiten, die die Mainzer in den ersten sechs Ligaspielen zu sechs Siegen geführt hat: Haarfeine Analyse des Gegners, Ausarbeitung des oft zitierten »Matchplans« und die Aufgabenverteilung mit den Spielern. »Er ist der Kopf des Spiels. Er gibt uns immer einen Plan mit auf den Weg«, sagt Stürmer André Schürrle und auch Kollege Lewis Holtby schwärmt: »Er ist ein Taktikfuchs, der jeden Gegner lesen kann. Sein Fachwissen erschlägt einen fast.«

Tuchel ist Trainer zwischen Leidenschaft und Besessenheit. Vor jedem Spiel seziert er den Gegner und legt dessen Schwächen frei. Wann hat wer in welcher Situation wo auf dem Rasen genau was zu tun – Taktikunterricht à la Tuchel. »Unser Trainer muss mit wenig Schlaf auskommen, so gewissenhaft, wie er alles vorbereitet«, meint Manager Christian Heidel, der den früheren Juniorenbetreuer im vergangenen Sommer zum Chefcoach der Profis beförderte.

Anders als bei seinem früheren Glücksgriff mit Vorgänger Jürgen Klopp, den Heidel 2001 aus der Not heraus aus der Spielerkabine holte und auf die Trainerbank setzte, war die Personalie Tuchel wohl überlegt. »Er passt perfekt ins System«, sagt der Manager, der schon seit 18 Jahren in Mainz die Fäden zieht. »Er ist ein überragender Stratege und Kommunikator.« Von der Kompetenz des Trainers sind auch die Spieler begeistert – genauso wie von seiner oft unkonventionellen Führungsart. Im Team wird keiner mit Nachnamen angeredet, bei Begrüßung und Verabschiedung legt er Wert auf Augenkontakt. Tuchel ist Kumpeltyp, ohne echter Kumpel zu sein.

Nähe und Vertrauen sind die Basis des Mainzer Erfolges. Seine taktischen Ideen bespricht der Coach stets mit den Führungsspielern, gemeinsame Freizeitaktivitäten der Mannschaft fördert er. »Jeder soll sich im Team gebraucht fühlen«, sagt Tuchel, und so dem Trainer folgen. Die Spieler sind mittlerweile gut geschult, so dass die Mainzer von Spiel zu Spiel ohne Qualitätsverlust munter durchwechseln und die Gegner überraschen können. »Das ist vermutlich ein Vorteil, den wir uns erarbeitet haben«, meint Tuchel.

Für den Aufschwung der Mainzer interessieren sich nicht nur Journalisten. Bundestrainer Joachim Löw hat den beiden aufstrebenden Nachwuchsspielern Holtby und Schürrle einen Einsatz bei der Nationalmannschaft noch in diesem Jahr in Aussicht gestellt, andere Fußballgrößen wie Bayern-Trainer Louis van Gaal oder Pensionär Otto Rehhagel trauen dem jungen Team sogar den Meistertitel zu.

An Meisterschaftsträume oder auch die mögliche Einstellung des Startrekordes mit sieben Siegen verschwendet Thomas Tuchel keine Zeit: »Das ist bei uns kein Thema. Wir bilden uns nichts auf die Tabelle ein. Wir machen weiter wie zuvor.« Das gilt auch für die Ausrichtung auf den heutigen Gegner im Bruchwegstadion. »Mir ist egal, wie Hoffenheim sich durchsetzten will«, meint Tuchel. »Mich interessiert nur, wie wir unsere ausgemachten Vorteile zum Sieg nutzen können.«

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