In geschlossener Gesellschaft

Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares: Mehr als ein Krimi

  • Uwe Stolzmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Dies scheint ein Kriminalroman zu sein. Es gibt eine Tote, einen Fall vor unheimlicher Kulisse, Kripo-Leute und – als Ich-Erzähler – einen furchtlos agierenden Privatermittler. Die Kulisse ist ein Ort an Argentiniens Atlantikküste, ein Badeort zu Beginn der vierziger Jahre. »Durch spiralförmig aufwirbelnden Sand drangen wir in eine trübe Helligkeit vor, in der es keinen Horizont und keinen Himmel zu geben schien, eine leere, abstrakte Welt ...«

Der Ich-Erzähler, Humberto Hubermann, möchte einen Arbeitsurlaub am Meer verbringen. Er ist Arzt, schreibt auch gern; hier, im Strandhotel, will er ein Drehbuch fertigstellen. Doch er kommt nicht dazu, denn die Mitbewohner beschäftigen ihn – vor allem ein Junge namens Miguel, der gern Tiere präpariert, mit Gift, und zwei Schwestern in Begleitung ihrer Partner. Die eine Dame, jung und blond, heißt Emilia, sie hat etwas einschüchternd Dominantes. Von der anderen, Mary, hört unser Gewährsmann, dass sie für einen namhaften Verlag Kriminalromane übersetzt. Diese Mary – rasch merkt es der Erzähler – hat mit beiden Begleitern ein Verhältnis, das eine offen, das andere versteckt. Und noch jemand verrät sich als Verehrer der Übersetzerin: Miguel, dieser Junge am Rand der Pubertät, Neffe der Hotelchefin.

Die Vorliebe für Krimis bekommt der schönen Mary offenbar nicht. Eines Morgens liegt sie tot in ihrem Zimmer. Doktor Hubermann tippt auf Vergiftung, er beginnt zu recherchieren, am liebsten will er den Fall allein lösen. Doch dann watet ein Kommissar samt Entourage durch den Schlick zum Hotel, und es folgt, was man kennt: eine Ermittlung in geschlossener Gesellschaft. Niemand kommt rein, niemand darf raus. Am Strand tobt der Sturm, das Hotel versinkt im Sand. Beklemmende Atmosphäre; jeder misstraut jedem. Zwei Gäste sind für den Kommissar besonders verdächtig: Marys Schwester Emilia und ihr Verlobter, ein Herr namens Atuel oder Atwell, ein etwas vulgärer Typ mit Tango-Tolle. Señorita Emilia, so resümiert der Kripo-Mann, erhält Marys Erbe, wertvolle Juwelen. Und Atuel/Atwell, ein Hungerleider, wird vom Tod der heimlichen Geliebten profitieren, sobald er Emilia geheiratet hat. Obendrein wäre da noch ein Motiv – Eifersucht.

Der Fall dürfte klar sein, kurz vor der Lösung, aber irgendwann outet sich der wahre Täter: Miguel, der hoffnungslos verknallte Junge. Er kippte Gift in eine Tasse Schokolade. Nun hat er ein Geständnis geschrieben, und schon verschwindet er aus der Geschichte, mit einem Segelboot über das stürmische Meer. Die Ich-Figur: »Mir bleibt lediglich noch anzumerken, daß Emilia und Atwell geheiratet haben und, wie ich glaube, glücklich sind.«

Der Erzähler hat das letzte Wort, wie stets im Roman. Unerträglich ist dieser Hubermann, eitel, egoman. Ein Möchtegern-Dichter, der ständig große Männer zitiert, Xenophon, Shakespeare, Thomas Mann. »Ich mußte, nachdem ich nicht ohne eine gewisse Genugtuung meine gewölbte Denkerstirn im Spiegel betrachtet hatte, den zahlreichen unparteiischen Beobachtern einmal mehr zustimmen: Die Ähnlichkeit meiner Gesichtzüge mit denen Goethes ist unverkennbar.«

Hubermanns Geplapper beschädigt den Krimi-Plot, aber vielleicht ist dies gar kein Krimi. Vielleicht ist dieses grotesk inszenierte Prosastück ein Künstlerroman, ein satirischer Kommentar der Autoren auf die eigene Situation, auf ihren Ruf in Argentiniens feiner Gesellschaft. Ein Ehepaar hat das Buch geschrieben. Und beide Partner, Eigenbrötler aus reichen Familien, galten in der Oberschicht der Vierziger als typische Bohemiens – frivol und wunderlich.

Adolfo Bioy Casares und Silvina Ocampo waren – gemeinsam mit Jorge Luis Borges – Pioniere auf dem Gebiet der fantastischen Literatur. »Der Haß der Liebenden«, diese Fingerübung von 1946, blieb ihr einziges gemeinsames Werk. Bioy brachte es auch als Co-Autor von Borges zu einigem Ruhm. Silvina Ocampo, die talentierte Malerin, Prosaistin und preisgekrönte Lyrikerin, stand hingegen lange im Schatten der beiden Freunde.

Und auch eine Schwester Silvinas erhielt weit größere Aufmerksamkeit: Victoria Ocampo, Muse großer Geister – Camus, Freud, Eisenstein –, und Gründerin einer legendären Literaturzeitschrift. Eben, zeitgleich mit Silvinas Roman, erschien eine kommentierte Auswahl aus Victorias vielbändiger Autobiografie. Das Verhältnis der schreibenden Schwestern war nicht störungsfrei. Victoria, als Herausgeberin, rezensierte die Texte Silvinas gern mit gönnerhafter Herablassung. Borges hingegen, der große Alte, ehrte die Freundin mit einem unvergesslichen Satz: »Von allen Wörtern, die Silvina Ocampo beschreiben könnten, ist, glaube ich, das treffendste: genial.«

Mit »Der Haß der Liebenden« hat sich Silvina Ocampo von ihrer Schwester ein Stück weit emanzipiert. Der Roman ist stark in den Bildern, mal herb ironisch, mal steif und affektiert. Ein betont künstliches Produkt, Persiflage auf das Klischee »Bohème«. Der Text macht Appetit auf andere Arbeiten der beiden Autoren. Denn Passagen wie diese sind zu elegant, zu rund, als dass sie von Hubermann stammen könnten: »Im Traum machen wir tagtäglich die Erfahrung des Wahnsinns. In dem Augenblick, da wir tatsächlich den Verstand verlieren, werden wir uns sagen: ›Diese Welt ist mir vertraut. Ich habe sie fast jede Nacht meines Lebens besucht.‹« Da sprechen zwei große Dichter.

Silvina Ocampo, Adolfo Bioy Casares: Der Haß der Liebenden. Roman. Aus dem Spanischen von Petra Strien-Bourmer. Manesse Verlag. 191 S., geb., 18,95 €.

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