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Trügerischer Erfolg: Noch keine Abstimmung verloren

Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen stehen die großen Belastungsproben erst noch bevor

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW hat die ersten hundert Tage im Amt überstanden. Noch hat sie jedoch wenig in trockene Tücher gebracht.

Es mag zynisch klingen – aber etwas Besseres als das Loveparade-Unglück vom 24. Juli hätte der neuen Regierung Nordrhein-Westfalens kaum passieren können. Neun Tage zuvor hatte Rot-Grün das Zepter übernommen. Nach einigen rasanten Strategiewechseln. Alle Sondierungsgespräche waren grandios gescheitert, egal ob mit der LINKEN, der CDU oder der FDP. Sodann wollte SPD-Chefin Hannelore Kraft von den Oppositionsbänken aus regieren – und Schwarz-Gelb im Amte belassen. Erst auf erheblichen Druck der SPD-Zentrale in Berlin hin entschloss sich Kraft kurzfristig – Achtung, erneute Kehrtwende! – für die Option Rot-Grün mini.

Es war eine Flucht nach vorn. Und ein Novum im Westen der Republik, wo bisher stabile Koalitionen auf Basis stabiler Mehrheiten üblich waren. Ob die Koalition »fünf Monate oder fünf Jahre« währen wird, sei durchaus offen, gestand seinerzeit die neue Vizeministerpräsidentin und grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann.

Das Loveparade-Unglück verschaffte Rot-Grün erst einmal eine Atempause. Statt der drohenden Rekordschulden oder der chaotischen Regierungsbildung bestimmten mit einem Schlag die 21 Toten von Duisburg die Schlagzeilen. Aller Ärger im Lande richtete sich auf diejenigen, die nicht für das Unglück verantwortlich sein wollen.

Hundert Tage hat Rot-Grün mini nun gehalten. 90 Regierungsabgeordnete gegen 91 Oppositionsparlamentarier – so schaut die Grundkonstellation im NRW-Landtag aus. Geschlossene eigene Reihen vorausgesetzt, ist Rot-Grün darauf angewiesen, dass mindestens ein linker, christdemokratischer oder liberaler Parlamentarier mit den Regierungsfraktionen stimmt (oder mindestens zwei Oppositionelle sich der Stimme enthalten).

»Koalition der Einladung« nennt Hannelore Kraft ihr Regierungsmodell. Krafts Einladung richtete sie ausdrücklich an alle Oppositionsparteien. Doch während die FDP-Abgeordneten sich in Totalverweigerung üben und die CDU sich höchstens einen Tacken weit offener zeigt für ein Zusammengehen mit Rot-Grün, monieren viele Beobachter, Kraft und Co. ließen sich faktisch von der LINKEN tolerieren.

»Diese Einladung an alle finde ich immer noch verwunderlich«, sagt Wolfgang Zimmermann, der Vorsitzende der NRW-Linksfraktion. »Wie kann man denn erst die verheerende Politik von Schwarz-Gelb kritisieren und dann FDP und CDU zur Zusammenarbeit einladen?« Das signalisiere: »Rot-Grün scheint keinen grundlegenden Politikwechsel zu wollen, denn der wäre nur mit der LINKEN umsetzbar.«

»Regieren ist klasse«, freut sich derweil Hannelore Kraft. Es mache »Spaß zu gestalten, auch wenn es in unserer Lage nicht immer einfach ist.« Doch noch ist wenig in trockene Tücher gebracht worden. Die meisten rot-grünen Gesetzesvorhaben sind bisher in die Landtagsausschüsse verwiesen worden. Sie befinden sich halt noch mitten im üblichen parlamentarischen Prozedere. Doch selbst das verkauft die Regierung schon als Erfolg: Die rot-grüne Minderheitsregierung habe bislang alle 59 Abstimmungen im Landtag gewonnen, jubilierte unlängst SPD-Fraktionschef Norbert Römer. Kunststück, spottete die Opposition. Bisher ging es ja um nichts!

Das gilt für die Schulpolitik, die Kleinkindbetreuung, die Studiengebühren. Das gilt insbesondere für den milliardenschweren Nachtragshaushalt, den Rot-Grün plant. Mehr Geld für die Kommunen, mehr Geld für die Absicherung der Risiken der kränkelnden Landesbank WestLB, mehr Stellen im öffentlichen Dienst – alle diese Punkte sind eine in Zahlen gegossene Kritik an der alten schwarz-gelben Landesregierung. Rot-Grün wird auf die Stimmen der LINKEN angewiesen sein. »Wir erwarten Nachbesserungen«, kündigt Fraktionschef Zimmermann an.

Des Linken Fazit nach hundert Tagen Rot-Grün fällt durchwachsen aus: »Einige Verbesserungen wurden auf den Weg gebracht, hoffentlich werden sie auch bald umgesetzt.« Doch würden wichtige Reformvorhaben wie die Novelle des Landespersonalvertretungsgesetzes auf die lange Bank geschoben. An anderen Stellen weiche die Regierung von rot-grünen Wahlversprechen ab, so bei den Studiengebühren, »die nicht wie versprochen sofort, sondern erst Ende 2011 abgeschafft werden sollen.«

Die größte Belastungsprobe steht Rot-Grün noch bevor: Die Koalition muss einen regulären Haushalt für das Jahr 2011 durch den Landtag bringen. »Da könnte es für die Minderheitsregierung eng werden«, glaubt nicht nur Wolfgang Zimmermann. Die LINKE will auch weiterhin keinem Sozial- und Stellenabbau zustimmen. Wird die CDU, werden gar die Liberalen Rot-Grün retten?

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