Riskantes Leben, früher Tod

Männergesundheitsbericht gibt starkem Geschlecht schwache Noten

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Der erste deutsche Männergesundheitsbericht wurde kürzlich in Berlin von der Stiftung Männergesundheit und der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. vorgelegt. Dieser Pilotbericht beruht auf der Datenbasis von 400 000 Mitgliedern einer privaten Krankenversicherung. Eine Fassung auf breiterer Grundlage vom Robert-Koch-Institut soll 2011 folgen, ebenso ein entsprechender Report der EU-Kommission.

Als typische Männerkrankheiten nennt der Bericht neben Prostataleiden sexuelle Funktionsstörungen. Beide Gruppen von Erkrankungen werden nach wie vor tabuisiert. So wünscht zwar jeder dritte Patient die Verordnung eines Medikaments gegen erektile Dysfunktion, früher als »Impotenz« bezeichnet, nicht jedoch ein Gespräch darüber mit dem Arzt. Gerade bei dieser Störung gehen die Mediziner heute zu zwei Dritteln von einer organischen Ursache aus. Dabei dominieren Gefäßerkrankungen, für die viele Betroffene mehrere Risikofaktoren haben: Herzleiden, Diabetes, psychische Probleme und die gleichzeitige Einnahme vieler Medikamente gehören dazu. Männer sind deutlich häufiger als Frauen chronisch krank und liegen bei den Herzinfarkten vorn. Bis zum 70. Lebensjahr erleiden sie dreimal so häufig einen Herzinfarkt wie Frauen.

Männer stehen sich nicht nur gesundheitlich selbst im Weg, aber in diesem Bereich werden die fatalen Folgen falschen Verhaltens besonders deutlich. Ihre Suizidrate übersteigt die der Frauen mindestens um das Dreifache, aber Depressionen werden nur halb so oft diagnostiziert. Auch weitere psychische Störungen bleiben oft unerkannt und unbehandelt. Das liegt vor allen an der Angst, stigmatisiert zu werden und an traditionellen Männlichkeitsnormen, erklärt eine Autorin der Studie, die Sozialwissenschaftlerin Anne Maria Möller-Leimkühler. Männer leiden zwar nicht weniger an psychischen Störungen als Frauen, aber bei ihnen sind die nach außen gerichteten Formen wie Alkohol- und Drogenabhängigkeit, antisoziale Persönlichkeitsstörungen, Gewalt und vollendeter Suizid typisch, so Möller-Leimkühler.

Die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern in Deutschland liegt 5,5 Jahre unter derjenigen der Frauen. Davon ließe sich aber nur ein Jahr durch die unterschiedlichen biologischen Voraussetzungen erklären. Das ergab eine Studie über die Lebensbedingungen in Klöstern, die für beide Geschlechter annähernd gleich und relativ stabil sind. Hier war die Differenz von einem Jahr gefunden worden. Die übrigen vier Jahre könnten demnach also nur sozial und kulturell bedingt sein. Aber auch die Biologie steht den Männern nicht hilfreich zur Seite: So trägt der Testosteronabfall im Alter wahrscheinlich dazu bei, dass sie gegen einen Herzinfarkt schlechter geschützt sind.

Immer der Held sein zu müssen – auf der Arbeit, in der Familie, im Sport, beim Autofahren – das gehört offenbar zum Selbstbild vieler Männer. Eine Folge davon ist die Gefährdung der Gesundheit, doch dieses riskante Verhalten gehört nach wie vor zu zum Selbstverständnis von Männern. Arztbesuche und Vorsorgeuntersuchungen – von Frauen häufiger wahrgenommen – gelten als unnötige Verweichlichung. Eine Lebensstiländerung scheint nicht so einfach herbeizuführen, obgleich Männer die Medizin dominieren, die ihnen zur Zeit keine Lösung anbieten kann.

Ein Lehrstuhl für Männergesundheit existiert seit 2005 am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Die Verfasser des Berichtes fordern bessere Männerforschung, den Ausbau der ärztlichen Weiterbildung sowie eine tatsächliche Prävention über das Erfassen von Daten hinaus.

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