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Morbus Rösler

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Morbus Rösler

Einst war der Onkel Doktor ein jovialer älterer Herr, der die Erkrankten mit kleinen Scherzen von ihren Leiden ablenkte und die Natur nicht hinderte, sich selber zu helfen. Dann erkannte die Gesundheitswirtschaft, dass aus dem Patienten viel mehr rauszuholen ist.

Inzwischen ist Gesundheit kein Selbstzweck mehr; Kranke werden heiß umworben, denn aus marktwirtschaftlicher Sicht sind sie wertvoller als Gesunde. Obwohl, gesund … Was heißt denn schon gesund? Völlig gesunde Menschen gibt’s gar nicht. Solche Leute, meinen die Herrschaften von der Pharmaindustrie, müssten doch krank sein. In diesem Jahr gelang es ihnen erstmals, mehr Krankheiten als Medikamente zu erfinden, darunter die Schweinegrippe, den berühmten Schnitzelhusten. Nach dem Vorbild der Zigarettenlobby werden sie bald auch Tablettenschachteln mit Warnhinweisen bedrucken: Wer sich für gesund hält, ist bloß noch nicht gründlich genug untersucht worden. Verbissen arbeiten sie an der Abschaffung der Gesundheit.

Der Eid des Hippokrates ist schon frisch gestrichen – Gesunde werden, wie es bei den Kassen intern heißt, »zielgerichtet verkrankt«. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, jeder anständige Arbeitsvertrag verpflichte den Chefarzt, für seine Klinik jährlich mindestens vier bis fünf Prozent Umsatzsteigerung zu erwirtschaften.

Auch ich möchte in den Zeiten der schwarz-gelben Gesundheits- »Reform« gern meinen Beitrag leisten. Das ist gar nicht so leicht. Ständig laufe ich mit einem schlechten Gewissen herum, weil ich ein so extremistisch kerngesunder Mensch bin, wie es ihn beim fortgeschrittenen Stand der Diagnostik gar nicht mehr geben dürfte. Ich hab die Kraft der zwei Lebern, Prostata ist für mich bloß ein fröhlicher Trinkspruch und Schwerhörigkeit stößt bei mir auf taube Ohren. Für den Gesundheitsminister Dr. Rösler ist so was nicht gerade die ersehnte Botschaft, doch er macht gute Miene zum bösen Spiel: immer nur lächeln und immer vergnügt.

Mit dem Segen von Frau Dr. Merkel hat er eine geradezu psychedelische Reform »auf den Weg gebracht«. Das war er sich schuldig. Schon die Überschrift seiner Doktorarbeit ist ein Knaller: »Einfluss der prophylaktischen Sotalol-applikation auf die Inzidenz des postoperativen Vorhofflimmerns im Rahmen der aortokoronaren Bypassoperation«. In den Wartezimmern wird sogar heftig gemunkelt, er wäre ein Schüler des Kurfürstlich-Braunschweigisch-Lüneburgischen Privilegierten Landarztes und Hofokulisten Dr. med. Johann Andreas Eysenbarth.

Dr. Rösler, ein neoliberaler Meister der Risiken und Nebenwirkungen, hat den Krankenkassenbeitrag von 14,9 auf 15,5 Prozent erhöht. Zugunsten des »Arbeitge- ber«-Lagers verzichtet er auf die paritätische Finanzierung, um die das deutsche Gesundheitssystem seit 130 Jahren weltweit beneidet worden ist. Nun jedoch heißt es: Schluss mit der Beitragshälftigkeit! Krankheit muss sich wieder rechnen. Künftig zahlt der »Arbeitnehmer« 8,2 Prozent, der »Arbeitgeber« bloß noch 7,3 Prozent. Der »Arbeitgeber«-Anteil wird bis in alle Ewigkeit eingefroren, künftige Beitragssteigerungen haben die lohnabhängigen Deppen gefälligst allein zu tragen. Dies ist der Triumph der Zahnpastatuben-Politik: Unten drückste drauf, und oben kommt was raus.

»Das neue Gesundheitssystem wird besser, aber definitiv nicht teurer«, sagte der Minister bei seinem Amtsantritt. Heute sagt er – definitiv – das Gegenteil. Merke: Der Gesundheitsminister ist schwer krank, Diagnose: Alzheimer im Endstadium. Insofern ist er der ideale Minister für die Dreiklassenmedizin: für die Privatversicherten, die Kassenpatienten mit Vorkasse-Tarif und die armen Schlucker, die sich Vorkasse gar nicht leisten können. Seine »Reform« macht Kranke arm und Arme krank. Und ausgerechnet dieses räuberische System, schwärmt der Minister, sei »gerecht und solidarisch«. Wir aber fragen uns erschrocken: Was nimmt der Mann eigentlich für Drogen?!

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