Designermode aus den Favelas

CAMPO unterstützt in Brasilien Frauen beim Aufbau von Produktionskooperativen

  • Lutz Taufer, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 6 Min.
Rio de Janeiro, die »Cidade Maravilhosa«, die wunderbare Stadt, zeigt sich derzeit von ihrer hässlichsten Seite. Kämpfe zwischen Drogenbanden, Polizei und Militär um die Kontrolle einiger der etwa 900 Favelas sorgen für Tote und für Schlagzeilen. CAMPO, der Partner des Weltfriedensdienstes, setzt in den Armutsvierteln friedliche Kontrapunkte.
Janete zeigt stolz ein besticktes T-Shirt aus eigener Produktion.
Janete zeigt stolz ein besticktes T-Shirt aus eigener Produktion.

Eine der acht Gemeinden, in denen CAMPO, der Partner des Weltfriedensdienstes, arbeitet, ist Salgueiro Fazenda dos Mineiros, eine Favela mit etwa 9000 Einwohnern. Dort unterstützt CAMPO den staatlichen Kindergarten Serpa. Ein Kindergarten ist oft die einzige öffentliche Institution in der Favela und er unterscheidet sich sehr von dem, was wir in Deutschland kennen. Die Mütter und Väter bringen nicht nur ihre Kinder dorthin, sondern gleich auch all ihre Probleme: Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Frühschwangerschaft, Drogen, häusliche Gewalt. Der Kindergarten ist das soziale Zentrum.

Viel Schwung, doch wenig Geld

Daher ist es nicht erstaunlich, wenn Raimunda da Silva, genannt Baixinha, die Leiterin des Kindergartens, von Aktivitäten berichtet, die in Kindergärten sonst nicht üblich sind: »Wir wollen im Nachbargebäude eine genossenschaftliche Großküche aufbauen. Im Erdgeschoss haben wir dafür einen Raum, Kühltruhe und Backofen haben wir auch schon. 30 Frauen haben bereits einen Kurs zur Herstellung von Salgados, eines traditionellen Gebäcks mit pikanter Füllung, absolviert. Viele produzieren jetzt zu Hause und verkaufen in die Nachbarschaft. Außerdem bilden wir Kellner und Barkeeper aus, die dann durch die Genossenschaft vermittelt werden. Im zweiten Stock richten wir einen Raum ein, den wir für Geburtstage, Hochzeiten und andere Festivitäten vermieten. Das wird uns finanziell helfen.« Denn bei allem Schwung, der Mangel an Geld blockiert vieles.

Aber einiges geht auch ohne Geld, lacht Baixinha. »Wir machen vieles zusammen, letzten Sonntag haben wir einen Ausflug auf einen nahegelegenen Berg unternommen.« Wandern hält fit, und Gesundheitsvorsorge gehört zu den Zielen von CAMPO. »Mit den Kindern haben wir einen Garten mit Ökogemüse und Heilkräutern angepflanzt. Alles wächst und gedeiht bestens«, berichtet Baixinha voller Stolz. Von ihren indianischen Vorfahren hat sie viel über Heilpflanzen gelernt. »Viele Bewohner haben kein Geld für Medikamente aus der Apotheke, sie kommen zu uns und können, in Abstimmung mit dem Gesundheitsposten, Mittel gegen Bluthochdruck, Prostataprobleme oder Herzbeschwerden bekommen.«

Das Projekt Vida Activa betreibt der Weltfriedensdienst in Kooperation mit dem brasilianischen Zentrum zur Beratung von Basisbewegungen, CAMPO, in der Region Itaúna, eine Autostunde vom Zentrum Rio de Janeiros entfernt. CAMPO arbeitet zweigleisig. Die Vermittlung von technischem Wissen, etwa im Bereich Berufsbildung, geht Hand in Hand mit Aktivitäten zur Stärkung der Zivilgesellschaft, des Selbstbewusstseins und der Eigeninitiative.

Die brasilianische Gesellschaft und ganz besonders die Favelas sind stark von Hierarchien geprägt. Nicht nur im Bereich der organisierten Kriminalität, sondern auch im Verhältnis von Mann, Frau und Kindern und in der wirtschaftlichen Sphäre. CAMPO will aus Kindern und Jugendlichen selbstbewusste und aktive Menschen machen, um die Alltagsdemokratie zu stärken. Deshalb gehen die Bemühungen mehr und mehr dahin, vor allem Gruppen von Frauen beim Aufbau kleiner Produktions- und Dienstleistungskooperativen zu unterstützen. Die Erfolgserlebnisse beim Aufbau einer solchen Kooperative aus eigener Kraft machen die Frauen stark und selbstbewusst und schweißen die Gruppen zusammen.

Nur einen Katzensprung vom Kindergarten entfernt liegt das Berufsbildungszentrum CICD. Es hat sich, neben Alphabetisierungs- und Berufsbildungskursen, auf die Produktion von Modeartikeln, Taschen und Behältern spezialisiert. Die Auszubildenden stellen sie aus der Haut des Tilapia-Fisches her. Das CICD befindet sich in einem ehemaligen Wohnhaus, dem man ansieht, dass es nach und nach aufgestockt und ausgebaut wurde. Janete, eine der Leiterinnen des Zentrums, führt uns in einen kleinen Raum im Hof, aus dem uns stechender Geruch entgegenschlägt. »Die drei Kolleginnen hier verarbeiten in einem drei Tage dauernden Prozess die Tilapiahäute zum Grundstoff für die Produktion«, erklärt Janete Nazareth Guilherme. »Die verschmutzten Abwässer werden in einem mehrstufigen Filtersystem bis zur Umweltverträglichkeit gereinigt.« Die einzelnen Fischhautflicken von der Größe einer Kinderhand werden danach weiterverarbeitet, naturbelassen oder gefärbt.

Ein größerer Saal ist mit modernen Nähmaschinen ausgestattet, die von einer deutschen Organisation aus den östlichen Bundesländern finanziert wurden. Insgesamt zehn Frauen nähen hier Kleidungsstücke, Taschen, Modeaccessoires, Geldbörsen und anderes mehr. Vor ein paar Monaten haben zwei Absolventinnen einer deutschen Designhochschule einen zweitägigen Designworkshop mit den Frauen veranstaltet. Ihr Rat: »Die Reißverschlüsse müsst ihr besser ins Material einarbeiten, außerdem brauchen eure Taschen ein schickeres Futter!« Bis jetzt werden die Produkte in der näheren Umgebung verkauft.

Auf der Suche nach Absatzchancen

»Das Einkommen, das wir uns bis jetzt monatlich auszahlen können, ist noch sehr gering. Wir brauchen bessere Verkaufsmöglichkeiten außerhalb Salgueiros. Außerdem müssen wir uns in eine juristische Person umwandeln, damit wir Rechnungen ausstellen können. Ohne diese Legalisierung können wir nicht an Geschäfte verkaufen«, benennt Janete einige der drängenden Probleme. »Wir könnten ein bisschen mehr Verdienst gut gebrauchen, aber wir wehren uns gegen die Sklavenarbeit, die uns von Textilfabriken immer wieder angeboten wird, zum Beispiel das Zusammennähen vorgefertigter Jeansteile für 1,50 Euro pro Hose. Zu einem besseren Lebensstandard gehören auch Menschenwürde und eine starke Zivilgesellschaft.«

Die aktiven Frauen von Barracão

Etwas weiter entfernt liegt die Gemeinde Barracão. Anna Maria do Sacramento, die vor ein paar Jahren an einer von CAMPO veranstalteten Kursreihe zur Ausbildung lokaler Multiplikatoren teilgenommen hat, leitet die Gruppe »Aktive Frauen«. Im jüngsten Kommunalwahlkampf hat sie um einen Sitz im Munizipalparlament gekämpft, aber wegen knapper Finanzen, so mutmaßt sie, hat sie leider nicht gewonnen. Dabei könnte das Stadtparlament eine aufrechte und kämpferische Frau wie sie gut gebrauchen.

Die Gruppe »Aktive Frauen« produziert Frauenmode und Taschen. Ein talentierter junger Favelabewohner ist als Designer aktiv. Ein dicker Katalog eleganter und trendiger Modezeichnungen liegt auf dem Tisch. »Wir haben uns von Sebrae (einer staatlichen Institution zur Unterstützung von Unternehmensgründungen) beraten lassen. Zusammen mit anderen Kooperativen geben wir einen Katalog heraus. Wir verkaufen bis nach Fortaleza, Recife, ja sogar nach Frankreich. Die Nachfrage steigt. Wir brauchen dringend ein paar neue Nähmaschinen, um nachzukommen.«

Für das kommende Jahr plant CAMPO in der Projektregion eine Reihe von Workshops und Seminaren, die der Bestandsaufnahme der bisherigen Erfahrungen in den Kooperativgruppen dienen sollen. Darauf aufbauend, will man Lösungen zu Problemen wie Erschließung neuer Märkte, soziales Marketing und Solidarökonomie erarbeiten. Fußballweltmeisterschaft 2014 und Olympische Spiele 2016 werden – so hofft man – einen gewaltigen Boom bringen.

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CAMPO will Kinder und Jugendliche zu selbstbewussten und aktiven Menschen machen.
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