Woher Fachkräfte nehmen?

Union und Regierungskoalition streiten über die Einkommensgrenze für Zuwanderer

In der Debatte darüber, wie Deutschland Fachkräfte gewinnen kann, streiten sich Politiker der Regierungsparteien über die Absenkung der Mindesteinkommensgrenze für Zuwanderer aus Ländern außerhalb der EU.

Wer dem Kosmopolitismus zugeneigt ist und Grenzen generell für eine schlechte Erfindung hält, gerät dieser Tage in eine kleine Zwickmühle: Jegliche Form großzügigerer Zuwanderungsregeln möchte er oder sie gern befürworten, aber keinesfalls gemeinsam mit der FDP und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Wer die erleichterten Zuwanderungsregeln ablehnt, findet sich an der Seite von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wieder, und das ist auch keine schöne Sache.

Die FDP fordert mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, den Zuzug von Ausländern jenseits der EU zu erlauben, die ein Einkommen von 40 000 Euro nachweisen. Bisher müssen sie mit rund 66 000 Euro etwa das 1,7-fache des durchschnittlichen sozialversicherungspflichtigen Einkommens in Deutschland belegen. 40 000 Euro entsprächen dagegen ungefähr dem Schnitt. So wie die FDP wollen es auch die BDA nach ihren aktuellen »Handlungsempfehlungen zur Fachkräftesicherung in Deutschland« und der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration.

Ein Eckpunktepapier von CDU-Politikern sieht nach Informationen des »Spiegel« zwar vor, Unternehmensgründungen für Ausländer zu erleichtern – bislang müssen Selbstständige mindestens 250 000 Euro investieren und fünf Arbeitsplätze schaffen –, ebenso studentische Nebenjobs und Genehmigungsverfahren bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Einkommensgrenze bei Angestellten soll dagegen bei 66 000 Euro bleiben. Dieser Punkt ist aber innerhalb der Union umstritten. So haben sich der sächsische Innenminister Markus Ulbig und einige CDU-Wirtschaftspolitiker für die niedrigere Einkommensgrenze ausgesprochen. Dagegen hat wiederum die CSU ein Veto angekündigt. Der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder (CDU), sagte in der ARD: »Wir sind dafür, dass wir keine gesetzlichen Änderungen vornehmen.« Bei den aktuellen Gesetzen gebe es »eine Menge Spielraum«.

Unter den Gegnern der Senkung der Einkommensgrenze befinden sich also zum einen Politiker vom Schlage Horst Seehofers, der gar keine Zuwanderer mehr aus »fremden Kulturkreisen« haben will und gestern sagte: »Die Bevölkerung möchte keine Zuwanderung in die Sozialsysteme.« Zum anderen sind unter ihnen aber auch Politiker und Gewerkschafter, die zunächst Mindestlöhne und mehr Investitionen von Staat und Unternehmen in Bildung und Ausbildung durchsetzen wollen.

Ob man überhaupt von einem akutem Fachkräftemangel sprechen kann, darüber sind sich nicht einmal kapitalfreundliche Wirtschaftsforscher einig. So stellte Klaus Brenke vom Deutschen Wirtschaftsinstitut im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen fest: »Für einen aktuell erheblichen Fachkräftemangel sind in Deutschland kaum Anzeichen zu erkennen.« Etwa seien die Löhne – »ein Zeichen für Knappheiten auf dem Markt« – bei Fachkräften in den letzten Jahren kaum gestiegen.

Kein Wunder, dass viele jener »gebildeten Menschen«, die laut von der Leyen »zu uns passen« und »dieses Land auch voran bringen können«, es inzwischen vorziehen, sich anderswo zu verdingen. Deutschland hat sich sogar zum Auswanderungsland gemausert – gerade für junge, gut Ausgebildete. Und da Unternehmer auch weiterhin die Löhne nicht freiwillig erhöhen wollen, wird versucht, die Menge der potenziellen Einwanderer auf andere Weise zu vergrößern. Nur ist man sich noch nicht einig darüber, wie.

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