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CO2-Ablasshandel nicht zielführend

UN-Klimagipfel in Cancún geht in die Schlussphase – kleine Fortschritte und viele Fragezeichen / Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger fordert wirksamen Klimaschutz ohne Schlupflöcher

  • Lesedauer: 4 Min.
In Cancún streiten die Regierungen über die Frage, ob ein neues Klimaabkommen das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll fortschreiben soll, in dem sich die Industrieländer zur Reduktion ihrer CO2-Emissionen verpflichtet haben. Oder ob ein ganz neues Abkommen nötig ist, das auch Entwicklungs- und Schwellenländer einbezieht und eher auf Freiwilligkeit setzt. Ein »Kyoto II« wäre für Hubert Weiger die bessere Wahl. Mit dem Vorsitzenden des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), der als Beobachter in Cancún ist, sprach Andreas Knobloch.

ND: Schon im Vorfeld waren die Erwartungen an eine substanzielle Einigung in Cancún eher gering. Die Stimmung scheint sich mit der Weigerung Japans, einer zweiten Phase des Kyoto-Protokolls zuzustimmen, noch verschlechtert zu haben. Wie sieht es aktuell aus?
Weiger: Das Votum Japans contra Kyoto-Protokoll war eine böse Überraschung. Vor allem weil sich Tokio mit dem nach einer japanischen Stadt benannten Abkommen immer geschmückt hat. Das Ganze lässt sich nur erklären, wenn man sich die hohen CO2-Emissionen Japans ansieht. Diese sollen bis 2012 um sechs Prozent gegenüber 1990 sinken, aber sie stagnieren im besten Fall. Da kommen die verpflichtenden Regeln des Kyoto-Protokolls ungelegen. Japan fürchtet außerdem die Konkurrenz Chinas, dabei liegen dort riesige Märkte für erneuerbare Energien, auch für Japan. Vorteilhaft ist das strikte Beharren der Entwicklungsländer auf Weiterführung von Kyoto. Wenn sich die anderen Industriestaaten einschließlich der EU ebenso konsequent verhalten, wird es ein Kyoto-Anschlussabkommen geben. Wenn noch nicht in Cancún, dann in einem Jahr in Südafrika.

Gibt es überhaupt Fortschritte?
Die Staaten sind nach Kopenhagen extrem bemüht, eine positive Atmosphäre zu schaffen und in den Verhandlungen voranzukommen. So gibt es unter anderem Fortschritte und Kompromissvorschläge beim globalen Waldschutz, bei der Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern oder auch bei der CO2-Ziele- und -Reduktionsdebatte. Kompromisse und Einigungen sind aber noch nicht unbedingt gut für das Klima. So wird zum Beispiel seitens einiger Industriestaaten versucht, die Bilanzierung der Waldemissionen zu verfälschen. Und die USA wehren sich massiv gegen verbindliche Ziele und erlauben so anderen Industriestaaten, sich dahinter zu verstecken. Nur wenn dies zurückgewiesen wird und die anderen Themen in akzeptable Ergebnisse münden, dann würde der BUND die Cancún-Konferenz positiv bewerten.

Wo hakt es am meisten?
Wir und andere Beobachter, aber auch Vertreter von Entwicklungsländern, halten den derzeit praktizierten Klima-Ablasshandel mit CO2-Zertifikaten für nicht zielführend. Ein wirksamer Klimaschutz in den Industriestaaten muss ohne Schlupflöcher auskommen, mit denen sich CO2-Sünder wie die Kohlestrom- oder die Autoindustrie von mehr Klimaschutz in ihren Heimatländern freikaufen. Marktbasierte Instrumente wie der »Clean Development Mechanism« (Finanzierung von Umweltprojekten in Schwellen- und Entwicklungsländern, für die zusätzliche Verschmutzungsrechte gutgeschrieben werden, d. Red.) oder die In-Wert-Setzung des Waldes über REDD (finanzielle Entschädigung für Länder, die auf Rodungen verzichten, d. Red.) werden in Cancún noch stärker zum Non-Plus-Ultra des Klimaschutzes erklärt.

Diese Instrumente erfüllen aber nicht die Erwartungen. Vorteilhafter wäre der Ausbau marktunabhängiger Klimaschutzmaßnahmen über zusätzliche Fonds, Regulierungen und ambitionierte CO2-Minderungsziele aller Staaten. Wobei die Industrieländer mit verbindlichen Zielen von 45 Prozent bis 2020 vorangehen müssten, sonst weigert sich die übrige Welt zu Recht, ihre Entwicklungschancen beschneiden zu lassen.

Welche Erwartungen haben Sie an die letzten Verhandlungstage?
Jetzt müssen die Industriestaaten und die EU zeigen, dass sie die Lektion von Kopenhagen gelernt haben. Die Entwicklungs- und Schwellenländer lassen sich nicht mit faulen Kompromissen abspeisen. Vorreiter werden übrigens nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile haben, zum Beispiel mehr Arbeitsplätze bei erneuerbaren Energien und bei Energieeffizienz-Maßnahmen wie der Dämmung von Häusern. Deutschland und die EU müssen für das Kyoto-Protokoll kämpfen und zuhause endlich ihre Hausaufgaben beim Klimaschutz machen. Zudem gilt es, die Entwicklungsländer bei der Anpassung an den bereits stattfindenden Klimawandel und beim Weg in eine klimafreundliche Zukunft finanziell und technologisch stärker zu unterstützen. Beides ist bisher nicht der Fall.

Wann würden Sie von einem gescheiterten Gipfel sprechen?
Wir müssen die Ergebnisse an den Notwendigkeiten des globalen Klimaschutzes messen. Wenn Mensch und Natur nicht vor den Folgen eines aufgeheizten Klimas geschützt werden können, wäre auch Cancún ein Misserfolg. Entscheidend ist, ob die Industriestaaten ein generelles CO2-Minderungsziel bis 2020 vereinbaren und ob ein Plan erstellt wird, das auf den jeweiligen Staat bezogene Ziel auf das notwendige Maß zu erhöhen. Geschlossen werden müssen außerdem Schlupflöcher wie der Klimaschutz-Ablasshandel mit CO2-Zertifikaten. Viele dieser Fragen werden aber wohl erst nächstes Jahr beantwortet.

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