Gewissenspflicht mit Risiko
Juristen-Debatte vor 13. Februar: Blockade von Nazi-Demos nicht ganz legal, aber legitim
Die Einladung entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie: Zu einer Diskussionsrunde über die Frage, ob Blockaden von rechtsextremen Demonstrationen legitim und auch legal sind, hatte am Freitagabend ausgerechnet Christian Avenarius eingeladen, Mitglied der AG sozialdemokratischer Juristen, vor einem Jahr aber auch Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden. Diese hatte kurz vor dem 13. Februar die Büros eines Bündnisses durchsuchen lassen, das zur Blockade von Europas größtem Neonazi-Aufzug aufrief. Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Behörde vier Politiker der LINKEN wegen des Aufrufs zu Aktionen, mit denen Nazis blockiert wurden, anklagen will.
Ob Avenarius' frühere Kollegen damit ihrer Pflicht nachkommen oder über das Ziel hinausschießen, blieb freilich auch am Ende des Abends unter den geladenen Experten strittig. Dabei billigen diese überwiegend die politischen und moralischen Motive derjenigen, die sich dem rechtsextremen Aufzug entgegenstellen. Bei dessen Organisatoren, sagt Wolfgang Howald, früherer Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts Sachsen, handle es sich nicht um Menschen, die »nur schweigend durch die Straßen laufen«: Im Umfeld der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) würden unverhohlen revisionistische Gebietsforderungen gestellt. Dass der Aufmarsch, der die Würde von Kriegsopfern beleidige, im vergangenen Februar nicht habe stattfinden können, habe nicht an der von der Dresdner OB organisierten Menschenkette gelegen, stellte Howald unter Applaus klar: »Dass es nicht passiert ist, lag an den Blockaden.« Frank Richter, Dresdner Wende-Aktivist und jetzt Chef der Landeszentrale für politische Bildung, verweist auf die Gewissensfreiheit, die in der Verfassung garantiert sei – und womöglich »eine gewisse Relativierung der Rechtsordnung« zulasse.
Dennoch werde so das Demonstrationsrecht, das in der Demokratie unstreitig auch Rechtsextremen zusteht, gravierend beeinträchtigt, sagt Jürgen Schwabe, Professor für öffentliches Recht in Hamburg. Er hält das für »zivilen Rechtsbruch«, der unter keinen Umständen hinzunehmen sei. Verfassungsmäßige Rechte dürften auch unter Verweis auf das Gewissen nicht von Bürgern beschnitten werden: »Das ist eine Rutschbahn.« Auch Avenarius fragt, ob es nicht »verhängnisvolle Folgen« haben könne, wenn sich das Szenario umkehre, wenn also etwa Neonazis zu Tausenden unerwünschte Demos behinderten.
Das sei sogar ihr Recht, solange sie sich gewaltfrei verhielten, sagt Thilo Weichert, Datenschützer in Schleswig-Holstein und Aktivist in der Anti-AKW-Bewegung, der oft wegen zivilen Ungehorsams verurteilt wurde. Er betonte, das auch Nazis »gottseidank« ihre Meinung kundtun dürften, aber hinnehmen müssten, wenn Bürger Protest dagegen äußern – »auch durch körperliche Präsenz und auf der Straße sitzend«. Allerdings kennt auch Weichert den von Avenarius zitierten Paragrafen 21 des Versammlunsggesetzes, der nicht nur Gewalt gegen genehmigte Demonstrationen unter Strafe stellt, sondern auch deren »grobe Störung«. Wenn die Rechtsordnung Blockaden als eine Straftat einstufe, dann »müssen wir dafür einstehen, auch vor Gericht«, so Weichert. Streng juristisch gesehen, gehe man mit einer Blockade ein Risiko ein. »Das ist aber zumutbar«, sagt der Ex-Richter Howald. Rechtsbruch sei nie legal, ergänzt Weichert: »Er kann aber legitim sein.« Dass er verfolgt wird, nutzt manchmal sogar den Delinquenten: Das Blockadebündnis überreichte Avenarius am Ende eines der Plakate, die vor einem Jahr die Durchsuchung auslösten – als Dank für, wie es hieß, die mit der Beschlagnahmung verbundene unfreiwillige Werbung.
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