Klare Worte gegen die rechte Gefahr

Wolfgang Nossen, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, wird 80

  • Antje Lauschner, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Sein Leben ist ein Spiegelbild deutscher und israelischer Geschichte. 80 Jahre alt wird Wolfgang Nossen, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, an diesem Mittwoch. Sein größter Wunsch: Neonazis Einhalt zu gebieten.

Erfurt. Den Holocaustüberlebenden Wolfgang Nossen treiben vor seinem 80. Geburtstag Sorgen um. Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen wirft Bundes- und Landespolitikern vor, Neonazis zu unterschätzen. »Es kommt mir so vor, der Feind sitzt links, und rechts sitzt die böse Verwandtschaft«, sagt Nossen, der die NS-Judenvernichtung als Junge im Ghetto von Breslau (Wroclaw) überlebte. »Die Gefahr von rechts wird als nicht wesentlich angesehen.« Er beobachte nach dem Mauerfall einen wachsenden Antisemitismus in der Bevölkerung und die Politik tue wenig dagegen, kritisiert er. »Ich kann damit nicht zufrieden sein, als Nichtjude oder als Nicht-Gebranntmarkter vielleicht.«

Am 9. Februar 1931 geboren – die Familie hatte eine koschere Metzgerei – erlebt Wolfgang Nossen von klein auf die immer enger werdenden Fesseln der Nationalsozialisten: Schließung des jüdischen Kindergartens und der Schule, Umzug in das Ghetto und die Bombardierung der zur Festung erklärten Stadt Breslau durch die Alliierten. Ihm und seiner Familie gelingt mit etwa 150 anderen Juden in letzter Sekunde die Flucht. »Wir standen schon zum Abtransport am Oder-Hafen: Den Gerüchten zufolge sollten wir entweder auf Kähne verladen und versenkt oder allesamt in die Luft gesprengt werden.« Drei Monate – bis zum Einmarsch der Sowjets – schlug sich Wolfgang Nossen mit Mutter und vier Schwestern in der halbleeren Festungsstadt durch.

Mit der Roten Armee kam der Vater zurück, der laut Gestapo erschossen worden war. Ihm war jedoch auf dem Todesmarsch ins KZ Groß-Rosen mit anderen Häftlingen die Flucht gelungen. Als Mitglied der sowjetischen Truppen nahm er an der Befreiung der Heimatstadt teil. Doch die Familie hielt nichts in Niederschlesien. Sie wollte nach Uruguay zu Verwandten auswandern. Eine Krankheit der Mutter zwang sie zu einem Zwischenstopp in Erfurt, aus dem für Wolfgang Nossen einige Jahre werden sollten.

Vom Hausmeister zum Vorsitzenden

Israel war proklamiert und zog den Jugendlichen magisch an. Er kämpfte im Unabhängigkeitskrieg 1949, im Suez-Krieg 1956, im Sechs-Tage-Krieg 1967 sowie im Jom-Kippur-Krieg 1973 und war Mitbegründer eines Kibbuz bei Jerusalem. Er richtete sich beruflich ein, heiratete und wurde Vater von fünf Kindern. »Aber«, so sagt Nossen, »das Israel war nicht das Land, was wir uns als junge Leute vorgestellt hatten.« 1989 kam er nach seiner letzten Scheidung nach Deutschland zurück und fand in Erfurt seine Jugendliebe wieder.

Er begann als Hausmeister in der Jüdischen Landesgemeinde, weil dazu eine Wohnung gehörte, wie er heute schmunzelnd anmerkt. Es war auch der Beginn seines politischen Engagements: 1995 wird er erstmals zum Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde gewählt. 27, vor allem hochbetagte Mitglieder hatte die Gemeinde nach dem Mauerfall, heute sind es rund 850. Wolfgang Nossen habe auf beeindruckende Weise maßgeblich am Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde und zur Integration der neuen Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion in Thüringen beigetragen, erklärt Dieter Graumann, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Er wird wie Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, zur Feierstunde für Nossen erwartet. Auch Thüringens Landtagspräsidentin Birgit Diezel und mehrere Landesminister haben ihr Kommen angekündigt.

Für Nossen wahrscheinlich eine Gelegenheit, erneut auf die Sorgen und Nöte seiner Gemeinde aufmerksam zu machen. »Man hält schöne Reden über jüdisches Leben in Thüringen, die Alte Synagoge und jüdisches Erbe, aber es darf nichts kosten«, kritisiert er. Der aus den 1990er Jahren bestehende Staatsvertrag werde nicht an den Mitgliederzuwachs angepasst. Die Landesregierung sehe nicht ein, dass mehr Mitglieder auch mehr Ausgaben bedeuten, meint er etwas resigniert.

»Mit den 390 000 Euro pro Jahr müssen wir Kultur, Gehälter, Mieten, Versicherungen und Sicherheit bestreiten.« Erstmals seit 1939 hat die Landesgemeinde seit Sommer 2010 wieder einen festen Rabbiner. Um ihn zu bezahlen, müsse er die Geldreserven angreifen, sagt Nossen. In der Luft hänge momentan auch die Mietunterstützung für das Jüdische Gemeindezentrum durch die Stadt Erfurt. Der Vertrag laufe Ende März aus. »Allein können wir es nicht halten. Mit dem Zentrum steht und fällt jedoch die Arbeit der jüdischen Gemeinde«.

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