Auf die Genossen ist Verlass!

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Auf die Genossen ist Verlass!

Auch den gestrigen Tag über wurden im Karl-Liebknecht-Haus wieder Delegationen von Werktätigen, Arbeitslosen, Rentnern, Kranken und Siechen und S-Bahn-Usern empfangen. Sie trugen mit sich Blumen, Kränze, diverse Alkoholika und liebevoll gebastelte Geschenke, die sie vor den Büros unserer führenden Genossen niederlegten. Bastmatten mit dem Motiv des Fernsehturms und Topflappen mit dem gestickten Doppelporträt Lötzsch/Ernst waren darunter und sogar ein Luftgewehr mit der Gravur »Wo etwas los ist, da ist die Partei!« auf dem Lauf.

Aber nicht nur auf der Kommandobrücke unserer Partei drängten sich Menschen. Auch vor den Geschäftsstellen der LINKEN in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte lagerten Sympathisanten seit den Morgenstunden auf dem Bürgersteig, entzündeten Kerzen, sangen »Kein schöner Land in dieser Zeit« und brachten Hochrufe auf die Stadtbezirksparteileitung aus.

Walter Sawatzki, 64, Vorsortierer in der Plastic-Fraktionierung auf dem Recyclinghof Spandau, der mit seiner Frau Hilda in der Rigaer Straße eine schmucke Wohnung bewohnt, brachte es auf den sprichwörtlichen Punkt. Unter dem Fenster des Gen. K. Lederer hielt er inne, fasste sich ein Herz und rief im Namen aller Werktätigen unserer Republik aus: »Dank dir, Partei, für deine Umsicht und Besonnenheit! Und dass du dich im Liebigstraßen-Fall nicht zu abweichlerischem Revoluzzertum hast hinreißen lassen!« Beifall der Umstehenden dankte ihm, das Manuskript seiner Rede wurde feierlich vom Pförtner entgegengenommen.

Gewiss, die kühnen Entscheidungen zur Liebigstraße waren dem Kollektiv der Parteiführung nicht leichtgefallen! Es stand vor der Frage: Sollen wir uns zum Vorkämpfer einiger Leute machen, die ihre Miete beim Hausbesitzer nicht bezahlen und die steigende Mieten im Kiez – ein Ausdruck des wachsenden Wohlstandes der Werktätigen – bösartig ignorieren? Soll unser demokratisch-sozialistisches Berlin bald überall so aussehen wie die Liebigstraße 14 – verkommen, morbide und ohne schönes Design, wie der Kapitalismus einst war, bevor ihn unsere Partei in der Hauptstadt zum Besseren zu wenden begann? Lasst uns nicht in alte Fehler zurückfallen, indem wir geltendes Recht – einen gerichtlichen Räumungsbeschluss – irgend einer Moral im Klassenkampf opfern! Und natürlich werden wir nicht den Arbeitersöhnen in den Reihen der Berliner Polizei und des Verbandes der Grundstücks-und Hauseigentümer in den Arm fallen!

Ja, auf die Genossen ist Verlass! Zu unserer Kampferfahrung zählt auch, dass man nicht gleich in die erstbeste Falle tappt, die der Gegner unserer noch jungen sozialistischen Stadtregierung stellt. Das Vertrauen des Innensenators und der (natürlich stillschweigende) Respekt einer Zeitung, die täglich von Millionen Werktätigen gelesen wird, sind uns mehr wert, als der wohlfeile Beifall einiger labiler Zeitgenossen, die sich zu einer – gelinde gesagt – sonderbaren Wohnkultur entschlossen haben und sich bisher an keinem der Umerziehungsprogramme unseres Senats zu regelmäßiger einfacher Arbeit beteiligt haben.

Mit einigen Parteimitgliedern allerdings, die ein abweichlerisches Verhalten an den Tag legten und sich sensationslüstern vor der Liebigstraße 14 einfanden, dabei im Stillen linksextreme Formulierungen formulierten, welche ein trotzkistisches Herangehen an den demokratischen Sozialismus erkennen lassen und die es dabei nicht einmal fertig brachten, die Liebigstraßen-Bewohner auf gewisse Unzulänglichkeiten ihrer Oberbekleidung und Haartracht aufmerksam zu machen, werden wir uns in den nächsten Tagen prinzipiell auseinandersetzen müssen.

Dann kehrt wieder Alltag ein in den politischen Kampf. Und wir wissen: Der Weg zum Sozialismus in den Farben von Willy Brandt wird lang sein. In der Liebigstraße 14 aber wird bald ein schmuckes Haus emporwachsen, ein Haus der sauberen, fröhlichen Leute. Und die Menschen, die daran vorübergehen, werden es ihren Kindern zeigen und sagen: Seht, was aus uns geworden ist!

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