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- »Stadtbild«-Debatte
Was Merz wirklich mit dem »Problem im Stadtbild« meinte
Das »Alle wissen schon«-Geraune des Kanzlers erinnert an einen alten Trick rechter Agitation, findet Alex Struwe
Die Kontroverse um Friedrich Merz’ »Stadtbild«-Äußerungen hält an. Mitte Oktober hatte dieser, auf den Erfolg der AfD angesprochen, gemeint, die Regierung nehme sich doch erfolgreich der »Versäumnisse« in der Migrationspolitik an. »Aber«, so raunte der Kanzler, »wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem«. Und welches Problem genau? »Fragen Sie Ihre Kinder, fragen Sie Ihre Töchter, fragen Sie im Freundes- und Bekanntenkreis herum«, ergänzte er später, »alle bestätigen, dass das ein Problem ist«.
Was Merz hier insinuierte, wurde Gegenstand viel öffentlicher Kritik, bundesweiter Demonstrationen gegen Rassismus und gesellschaftliche Spaltung, die man mit Merz’ Aussagen verband, und wurde selbst vom Koalitionspartner SPD gerügt. Nun sprach Unions-Fraktionschef Jens Spahn ein klärendes Machtwort gegen den »linken Empörungszirkus der letzten Tage«: »Der Bundeskanzler spricht aus, was die Mehrheit der Deutschen denkt«, sagte Spahn im »Bericht aus Berlin«.
Und tatsächlich, genau darum geht es hier: nicht um Rassismus, nicht um öffentliche Sicherheiten, ja nicht einmal um irgendein konkretes Problem. Es geht um den Flirt mit jenem Erfolgsrezept, das die Rechten, die CDU und Co. so um ihren Erfolg beneiden, seit Langem anwenden. Zu sagen, was alle denken, ist die Verschworenheit des starken Mannes mit dem Volke gegen die eingebildeten Sprechverbote der grün-links-liberalen Sittenwächter und Eliten.
Wir sind gewohnt, derlei Muster als »populistisch« zu verharmlosen und misszuverstehen. Eigentlich ist solches »Alle wissen schon«-Geraune aber ein uralter Trick faschistischer Agitation, der in den Analysen der frühen Kritischen Theorie als »großer kleiner Mann« beschrieben wird. Wer die Menschen als Massen mobilisieren will, muss ein Übermensch sein, der den Geführten doch ähnlich genug ist, dass sie sich in ihm selbst bewundern können. Dies gilt für einen Trump, der sich trotz vulgärem Reichtum als »einfacher Amerikaner« geriert. Und es gilt für einen Merz, der die Arbeitslosen und Armseligen, die sich noch keine Rente übers Aktienportfolio herbeispekuliert haben, bestrafen will und dabei beansprucht zu sagen, was alle denken.
Nun geht es keinesfalls darum, Merz einen Faschisten zu schimpfen. Die Übersprungshandlung, überall in aller Deutlichkeit alles des Faschismus zu überführen, braucht selbst eine Analyse. Vielmehr ist es doch so: Der Faschismus ist nur so stark wie die gesellschaftlichen Kräfte, die ihn zulassen. Und nichts bereitet ihm einen besseren Weg, als wenn Bürgerliche sich jener Techniken bedienen, um etwas vom großen Versprechen der faschistischen Massenmobilisierung abzukriegen. Darum geht es eigentlich.
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