Etat-Streit in entscheidender Phase

Vor NRW-Verfassungsgericht begann die mündliche Verhandlung über Nachtragshaushalt 2010

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Er ist – je nach Gusto – eine »Endabrechnung« mit den schwarz-gelben Vorgängern (so die rot-grüne Landesregierung), ein Tropfen auf den heißen Stein (LINKE) oder eine verfassungswidrige »Schuldenorgie« (CDU und FDP): der NRW-Nachtragshaushalt 2010. Nun wird vor dem Landsverfassungsgericht über dessen Verfassungskonformität verhandelt – an der die Richter offenbar zweifeln.

Am Wochenende eilten gut zwei Dutzend NRW-Liberale unter Führung von Landeschef Daniel Bahr in die Hansestadt Hamburg, um gegen das »schwarz-grüne Rekordverschuldungserbe« zu demonstrieren. Dort stehen Neuwahlen an, nachdem Schwarz-Grün scheiterte. Kaum zurück in heimischen Gefilden, wettert Daniel Bahr wieder exklusiv gegen die dortige Finanzpolitik. »Unter den Landesregierungen in Deutschland ziemlich einmalig« sei die nordrhein-westfälische. Und zwar – was schert ihn sein Hamburger Geschwätz von vorgestern? – in Sachen »Rekordverschuldung«.

Doch die wird überhaupt nicht als schwarz empfunden. Und auch nicht als schwarz-gelb – auch wenn von 2005 bis 2010 CDU und FDP gemeinsam regierten und dabei die Verschuldung um über 20 Prozent nach oben trieben. Die »Rekordverschuldung« ist laut Bahr eine rot-grüne, durchgesetzt mit der LINKEN als »heimlicher Partner«. Noch eine Spur schärfer als Bahr ätzt CDU-Landeschef Norbert Röttgen: Nicht nur in Deutschland, nein, »in ganz Europa« gebe es nur »eine einzige Regierung«, die, statt Defizite abzubauen, auf »Verschuldung als Zukunftsvorsorge« setze. Die in NRW.

Gestern begann vor dem Landesverfassungsgericht in Münster die mündliche Verhandlungen über die Verfassungsklage beider Parteien gegen den rot-grünen Nachtragshaushalt 2010. Ihr Ziel: Sie wollen den Zusatz-Etat stoppen, den Rot-Grün im Dezember – dank Duldung der Linksfraktion – durch den Landtag brachte. Das Argument: Die Neuverschuldung, sie sei zu hoch.

Gestern wurde deutlich: Die Richter um Präsident Michael Bertrams hegen zumindest Zweifel, dass der Nachtragshaushalt notwendig und rechtens ist. 1,3 Milliarden Rücklagen zur Abschirmung von Risiken aus der WestLB-Krise? Diese Gelder, so Bertrams, seien »faktisch nicht gebraucht« worden. Die Rücklagen zeigten, »dass der Staat bereit steht«, widersprach NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Bohrende richterliche Nachfragen bezogen sich auch auf die zusätzlichen Millionen für Kitas und Kommunen: Auf welcher gesetzlichen Grundlage, so wollten die Juristen wissen, seien sie erfolgt? Dabei war es ein Urteil des Münsteraner Verfassungsgerichts, mit dem das Land NRW verpflichtet wurde, statt der Kommunen für die Kitas zu zahlen.

Die entscheidende Frage aber wird sein: Lag eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vor? Nur dann, so argumentiert Professor Christoph Gröpl, der Experte der schwarz-gelben Kläger, dürfte die Kreditobergrenze überschritten werden. Das dahinter stehende Prinzip: Die Kreditsumme darf »in der Regel« (Landesverfassung) nicht höher liegen als die Ausgaben für Investitionen. Für Rüdiger Sagel ist der Ausgang des Verfahrens offen: »Die LINKE kann nur hoffen, dass auch das münstersche Verfassungsgericht die Notwendigkeit zur Krisen-Interventionspolitik und für eine soziale und nachhaltige Vorsorge sieht«, so der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion.

Mitte Januar hatten die Münsteraner Richter eine einstweilige Anordnung erlassen, derzufolge Rot-Grün keine weiteren Kredite im Rahmen des Nachtragshaushaltes aufnehmen darf. Sie wollten das aber nicht als vorweggenommene Entscheidung in der Hauptsache verstehen. Die werden die Richter erst Mitte März verkünden.

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