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Ungarns Philosophen unter Beschuss

Neues Mediengesetz bedroht auch die Freiheit der Wissenschaft an den Universitäten

  • Anna Csonka, Budapest
  • Lesedauer: 5 Min.
Das neue ungarische Mediengesetz, das in den letzten Wochen große Aufregung in Westeuropa hervorgerufen hat, wird auch gewisse schädliche Nebenwirkungen auf das Dasein von Kommunikationswissenschaftlern und Journalismusstudenten haben. Bedroht wird die universitäre Freiheit auch durch politische Angriffe auf unliebsame Professoren sowie durch den Versuch der Regierung, die Autonomie der Hochschulen zu beschneiden.

Péter György weiß, wovon er spricht, wenn er das neue Mediengesetz nicht nur als Angriff auf die Pressefreiheit wertet. Der Wissenschaftler ist Leiter der Kommunikations- und Medienfakultät an Ungarns ältester Hochschule, der Eötvös Loránd Universität in Budapest. »Das Mediengesetz schafft eine neue Situation«, sagt György gegenüber der Nachrichtenagentur ESNA. »Studenten werden nicht mehr wissen, ob sie noch auf rechtlich sicherem Boden stehen, denn das Mediengesetz enthält manchen uneindeutigen Passus.« In einem Artikel in dem liberalen Wochenblatt »És« schreibt ein international renommierte Forscher, dass dies eine Identitätskrise bei den jungen Medienschaffenden auslösen werde. Sie sind aufgewachsen in einer Ära mit Redefreiheit, und die Frage war, wie sie diese Freiheit nutzen konnten und nicht, wie sie die Behörden austricksen konnten.

Wird dieser noch nicht alte Festigungsprozess der Pressefreiheit umgekehrt, bedeutet dies, so György, auch eine zusätzliche schwere Verantwortung für die Hochschulprofessoren: »Als Professor kann und will ich meinen Studenten nicht sagen, sie sollen das Gesetz brechen. Dies stellt den Gelehrten aber vor ein schwieriges Dilemma: Die Hauptsache des Journalismusstudiums besteht darin, verfassungsrechtliche Werte zu schützen, die ungarische Verfassung garantiert – wenigstens jetzt noch – Redefreiheit. Welchem Gesetz soll der junge Journalist nun gehorchen?

György hat bereits mehrmals betont, dass er die Kollegen in seiner Fakultät nicht dazu aufgerufen hat, 2011 etwas anderes zu unterrichten als 2010. Vielmehr hat er erklärt, dass er fortfahren werde, dass Dogma von der uneinschränkbaren Meinungsfreiheit zu lehren und weiter die »Fragen der Verantwortung und des Gewichts dieser Freiheit und der daraus resultierenden politisch-kulturellen Fragen aufzuwerfen – und nicht, wie man im Schatten eines lächerlichen Gesetzes schreibt«.

Neben dem Mediengesetz war es ein Schlag der rechten Presse gegen einen Zirkel systemkritischer Philosophen, der Besorgnis und Wut in akademischen Kreisen hervorgerufen hat – nicht zuletzt in Györgys Kommunikations- und Medienfakultät, in der mehrere Mitarbeiter betroffen waren. »Ein bestimmter Kreis liberaler Philosophen hat sich während der Gyurcsány-Regierung (Ferenc Gyurcsány, sozialistischer Ministerpräsident 2004-2009, d. Red.) auf eine moralisch und rechtlich sehr fragwürdige Weise eine halbe Milliarde Forint unter den Nagel gerissen«, so der Wortlaut eines Artikels in der national gesinnten Tageszeitung »Magyar Nemzet«. Der Autor des Beitrags behauptete, dass der Förderantrag des Philosophischen Forschungsinstituts an der Ungarischen Wissenschaftsakademie den Anforderungen der öffentlichen Ausschreibung nicht im entferntesten entsprach. So seien zum Beispiel in dem Förderbereich für Ungarns europäische Integration und Konkurrenzfähigkeit 89 Millionen Forint (323 000 Euro) an ein Projekt vergeben worden, das den Titel »Grenzbereiche – Wissenschaft und Philosophie in der Antike« trug. Auch, so hieß es in der Zeitung weiter, habe die Fördersumme in keinem Verhältnis zur geleisteten Arbeit gestanden. Daraufhin wurden drei Untersuchungen von seiten der Regierung eingeleitet, von denen zwei Györgys Fakultät betrafen. Damit habe die Regierung, so kommentierte Ungarns größte Onlinezeitung »Index« den Vorgang, »ihr einziges konkretes Wahlziel verfehlt – nämlich die grassierende Korruption unter Politikern und Bänkern zu bekämpfen. »Jeder traut sich, von 81-jährigen jüdischen Damen Geld zurückzufordern, ob mit Recht oder nicht«, heißt es in »Index« in Anspielung auf die Angriffe gegen die 81-jährige Philosophin Ágnes Heller, die durch die Untersuchung auch unter Betrugsverdacht gestellt wurde.

In ihren Erwiderungen auf die Vorwürfe erklärten die Professoren, dass die Gelder durchaus verschiedene Verwendungen fänden, dass sie an das Institut und nicht an den einzelnen Forscher gingen und dass damit neben Honoraren auch diverse Spesen beglichen würden. Davon würde der Kauf von Computern und Papier für die Fakultät oder auch Verlagsrechnungen bezahlt. Ágnes Heller sagte in einem unabhängigen Wochenmagazin dazu: »In Ungarn sind Philosophen sehr arme Leute, sehen Sie sich nur ihre Gehälter an. Sie bekommen fast nichts für ihre Bücher und noch weniger für Redaktions- und Übersetzungsarbeiten. Diese Personen zu beschuldigen, sich unrechtmäßig Hunderte von Millionen angeeignet zu haben, ist eine unerhörte Tatsachenverdrehung.« Niemanden interessiere, ergänzte die ehemalige Kollegin von Jürgen Habermas, »was ich über Nietzsche, Heidegger oder Lukács schreibe oder denke«, der entscheidende Grund für die Vorwürfe sei, »dass ich (Premierminister) Viktor Orbán nicht leiden kann«. Péter György gab zu Protokoll, dass er die Förderanträge als Dekan der Fakultät gesehen und nichts an ihnen unredlich oder ungewöhnlich gefunden habe. Seiner Ansicht nach ist es eine politisch-strategische Frage, wie viel Geld eine Regierung für sozialwissenschaftliche Forschungen zu geben bereit sei.

Obwohl die allgemeinen Aussichten düster sind, gibt es dennoch einen dünnen Lichtschimmer am Hochschulhorizont. Die Staatssekretärin für Bildung, Rózsa Hoffmann, die der konservativen Christdemokratischen Volkspartei KPND angehört, ist bereit, bei den umstrittensten Teilen des Hochschulgesetzes einzulenken. Nachdem der erste Entwurf im November 2010 vorgelegt worden war, hatte es zahlreiche Proteste gegeben. Widerstand regte sich bei der Ungarischen Rektorenkonferenz MRK, bei der Nationalen Studentenvertretung HÖOK ebenso wie bei Regierungsexperten, und zwar nicht nur, weil die verwaltungstechnische und finanzielle Autonomie der Universitäten beschnitten werden sollte, sondern auch weil Errungenschaften des Bolognaprozesses wieder rückgängig gemacht werden sollten.

Hoffmann erklärte schließlich Mitte Januar, sie werde nach Gesprächen mit den akademischen Organisationen einen neuen, allgemeineren Vorschlag des Gesetzes vorlegen. Laut einem Papier der Rektorenkonferenz soll der neue Entwurf auf der Basis einer Problemliste erstellt werden, an der alle Hochschulakteure mitwirken und die an den wichtigsten Zielen und Prinzipien der Hochschulen orientiert ist. Damit würde zumindest auf die akademische Freiheit als Bestandteil der allgemeinen Meinungsfreiheit Rücksicht genommen.

Die Autorin ist Korrespondentin der Presseagentur ESNA für europäische Hochschulnachrichten (ESNA, www.esna.tv). Übersetzung aus dem Ungarischen: Tino Brömme.

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