Sieg und Tränen

Harry Thürk in Indochina 1953

  • Eberhard Reimann
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Ende der 300 bewegenden Seiten zunächst eine Genrefrage: Ist es ein Tatsachenroman, wie der Verlag das Buch auslobt oder eine militärhistorische Dokumentation, wie man nach der exakten Schilderung einer der blutigsten Schlachten um die koloniale Befreiung Vietnams annehmen würde? Beides ist richtig. Harry Thürk verstand es wie kein zweiter deutschsprachiger Autor, in seinen Büchern Fiktion und Realität zu einem Gesamtbild zu fügen: Die Brutalität der französischen Kolonialarmee gegen die mit primitivsten Mitteln kämpfenden, aber vom Sieg überzeugten vietnamesischen Soldaten darzustellen, deren Nachschub mit vieltausendfachem menschlichen Einsatz, häufig per Fahrrad, letztlich doch zum Sieg führte. Und das mit Sachkenntnis. Immerhin verbrachte der Autor viele Jahre in Asien und zog sich im Vietnamkrieg eine schwere Vergiftung mit dem vom US-Militär eingesetzten Herbizid Agent Orange zu, die ihn später ans Bett fesselte.

Über ein Buch dieses im Jahre 2005 verstorbenen Autors zu schreiben, bleibt ein schwieriges Unterfangen. Immerhin stammen aus seiner Feder mehr als 50 Romane, Drehbücher (»For Eyes only« z.B.) und Dokumentationen – er war einer der produktivsten und populärsten Autoren der DDR. Älteren Lesern, seiner Fangemeinde, seine Biografie aufzuschreiben, würde als überflüssig bewertet. Jüngere Leser werden aber nicht verstehen können, weshalb Thürk so gefragt war. Dabei ist das offizielle Urteil über ihn durchaus zweischneidig: Seinem 1957 erschienenen Antikriegsroman »Die Stunde der toten Augen«, der in stark autobiografischer Weise den Kampf einer deutschen Fallschirmjägereinheit Ende 1944 in Ostpreußen gegen die Rote Armee schildert, wurde in der DDR Verharmlosung der nationalsozialistischen Wehrmacht vorgeworfen. Die Kritik in der westlichen Presse richtete sich vor allem gegen seinen Roman »Der Gaukler« von 1978, der den sowjetischen Schriftsteller und Dissidenten Alexander Solschenizyn als Marionette der CIA darstellte.

Indochina Mitte 1953. Aus Paris erscheint ein neuer Oberkommandierender, General Navarre. Er ist entschlossen, dem Kolonialland Frankreich seine südostasiatische Domäne zurückzuerobern, in der es inzwischen eine Volksregierung gibt. Ihre Forderung nach Respektierung der Unabhängigkeit soll mit Geschützfeuer, Napalm und Fliegerbomben erstickt werden.

Dem ehrgeizigen Militär schwebt eine spektakuläre Feldschlacht vor. Er wählt Dien Bien Phu, nahe der laotischen Grenze, zum Schauplatz.

Dann beginnt um den Talkessel, in dem die Franzosen aus einer bedeutungslosen Siedlung eine Festung machen, das blutige Ringen, mit dem das Ende der französischen Herrschaft in Indochina eingeleitet wird. Die Niederlage der waffenstarrenden Kolonialmacht Frankreich gegen die vietnamesische Armee ist unabwendbar. Aber im Hintergrund ziehen die USA ihre Fäden. In die Fußstapfen der abgezogenen französischen Kolonialsoldaten senken sich bereits in Saigon, tausend Kilometer südlich von Dien Bien Phu, die Krepp-sohlenschuhe der ersten US-Kommandos, deren Befehlshaber glauben, eine fette Erbschaft angetreten zu haben ...

Eine persönliche Erinnerung an die Zeit nach der Schlacht: Nicht nur wir Schüler einer Mühlhäuser Schule spendeten Hefte und Bleistifte für die unbekannten vietnamesischen Freunde. Solidarität hieß das damals. Und das war es auch, im besten Sinne des Wortes.

Harry Thürk: Dien Bien Phu. Roman. Mitteldeutscher Verlag. 304 S., brosch., 14,90 €.

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