Hesiods unsterblicher Erotik-Thriller

Zypern – das ist nicht nur die Geschichte von Aphrodite, Adonis und anderen Göttergestalten

  • Stephan Brünjes
  • Lesedauer: 6 Min.
An dieser Stelle soll Aphrodite, die Schaumgeborene, dem Meer entstiegen sein.
An dieser Stelle soll Aphrodite, die Schaumgeborene, dem Meer entstiegen sein.

Man könnte ihn glatt übersehen, diesen Felsbrocken da unten am Strand. Weil er so schroff, so zerklüftet und kalksandsteinfarben daliegt wie tausende andere auf Zypern. Trotzdem, der hausgroße Klumpen wird täglich besucht, bestaunt und geknipst. Denn hier soll sie dem Meer entstiegen sein – Aphrodite, von Beruf Göttin, zuständig für Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit. Ein Ressort, das verpflichtet. Sie betrat das Licht der Welt nackt, aber nicht mit einem simplen FKK-Landgang, sondern per Schaumgeburt: Aphrodite wurde angeblich gezeugt aus Salzwasser und dem unsterblichen Geschlechtsteil des Gottes Uranos, das Sohn Kronos seinem tyrannischen Papa abgehackt und ins Meer geworfen hatte.

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Kein Autor von Vorabendserien, kein Tourismus-Werbetexter könnte einem verwitterten Stein eine süffigere Story andichten als der Grieche Hesiod es etwa 650 v. Chr. tat. Lange Zeit bloß ein kleines Kapitel Mythologie, heute Zyperns große PR-Saga. Denn feine Sandstrände, wie hier an der Südküste, seichtes türkisblaues Wasser und mehr als 300 Sonnentage – das bieten Kreta und Zyperns andere Mittelmeer-Konkurrenten locker auch. Nicht jedoch Aphrodite als Alleinstellungsmerkmal. Bloß gut, dass Hesiod gleich dran gedacht hat, seinen Erotik-Thriller als Mehrteiler anzulegen, ja, ihn sogar an mehreren, noch dazu touristisch reizvollen Schauplätzen spielen zu lassen.

Nummer zwei etwa ist einer für Wanderfreunde: Auf der Halbinsel Akamas im Nordwesten vergnügte sich Aphrodite unter einem Feigenbaum mit zahlreichen Liebhabern, darunter Adonis und Kriegsgott Ares. Als der von seinem gut gebauten Nebenbuhler erfuhr, verwandelte sich Ares in einen tobenden Eber und tötete Adonis. Trotzdem ist der gemeuchelte Beau noch heute allgegenwärtig – auf Wanderwegschildern. Der »Adonis-Trail«, eine der mehrstündigen, durchaus anstrengenden Touren auf Akamas durch eine Art naturbelassenen botanischen Garten: Orchideen, Tulpen und gut 600 weitere Pflanzenarten gibt's auf der Halbinsel, aber wohl nicht so viele Häuser. Der Duft von Thymian und Salbei in der Luft, dazu am Strand eine Sperrzone für Meeresschildkröten, die hier ihre Eier ablegen. Ach ja, und dann eine alte Bekannte: Aphrodite, diesmal als Namensgeberin eines Naturlehrpfads sowie der antiken Badewanne, in der sie angeblich Entspannung gesucht hat nach zahllosen Liebesspielchen.

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Wenig später, an der Landstraße darf Aphrodite noch Patronin für ein Spaßbad, ein Musikfestival, eine Auto-Rallye und ein Golfhotel sein. In der Hafenstadt Páfos hat sie Pause und andere Promis aus dem Götterkabinett wie Apoll, der Flötenspieler, Poseidon und Theseus bekommen ihre Starauftritte – in den weltweit einmaligen Mosaiken des Archäologischen Parks. Steinlandschaften als begehbare antike Bilderbücher. Weingott Dionysos hat das größte – ein etwa 2000 Quadratmeter großes Haus war ihm gewidmet, der Mosaikfußboden ist weitgehend erhalten. Entdeckt wurde er erst 1962, aber nur weil Bauer Hasip beim Pflügen dauernd stecken blieb, mitten in der »versteinerten Mythologie« unter seinem Acker.

Telemachos Ioannidis erinnert sich noch gut daran und bietet nicht nur eine mündliche Überlieferung der Geschichte, sondern – wie immer, wenn er erzählt – eine mit Händen und Füßen. Zwischendurch reicht der Wirt mit dem verwitterten Gesicht immer neue der typisch zyprischen Meze-Köstlichkeiten nach: Hoúmmus (Kichererbsenpürree), Tachini (Sesampaste) und Challoúmi (eingelegter Weißkäse) Hier, in der »Taverna Metochi«. im Dörfchen Petochi sind diese 1000-Teller-Spezialitäten mit gefühlten zehn Gängen besonders lecker und die »Absacker« ziemlich speziell: Der Zivania, eine Art Grappa schwappt aus einem rosa Plastikkanister in die Gläser und anschließend als guter Liter noch in eine leere Wasserflasche.

Keiner solle in den nächsten Tagen verdursten, raunt Telemachos augenzwinkernd und spielt vorm Abschied für seine Gäste noch rasch Blitz-Orakel: Mokkatasse umdrehen, Kaffeesatz auf die Untertasse rinnen lassen und dann aus dem Verlaufsmuster in der Tasse die Zukunft weissagen. Seine Prognose: Noch zwei Kinder oder mehr. Bestimmt hat Aphrodite ihre Finger im Spiel.

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Spätestens am zweiten, dritten Tag eines Zypern-Trips wird der Besucher von der Antike kurz mal in die Gegenwart gebeamt. Und muss dafür nicht in den »Time-Elevator«, eine Kreuzung aus Achterbahn und Kino in Limassol, die die Inselgeschichte im 30-minütigen Zeitraffer präsentiert, sondern nur ein Gespräch beginnen mit der Frage, ob es nicht prima sei, dass die Grenze zwischen dem türkischen und dem griechischen Teil Zyperns nun durchlässiger werde. Weil es jetzt schon sechs Übergänge gibt und die Mauer in Deutschland ja auch gefallen ist. »Wird hier nie passieren«, brummt Alekos, der Taxifahrer mürrisch zurück. Und erzählt, dass seine Familie 1974 im Bürgerkrieg nicht nur 17 Menschen verlor, sondern auch ihr gesamtes Land im Nordteil der Insel. Das hätten die türkischen Besatzer inzwischen längst an anatolische Einwanderer verkauft. Frieden? Niemals! Auch Elena, die Fremdenführerin glaubt nicht dran und präsentiert ihrer Touristen-Gruppe die eindeutig griechische Version der zyprischen Geschichte, mit Türken als Dauerinvasoren und Griechen als Gutmenschen und Lordsiegelbewahrer der Antike. Und der Einmarsch der griechischen Militärjunta 1974 auf Zypern? Ein Komplott der Amerikaner, da ist sich Elena sicher.

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Weiter Richtung Osten nimmt die Dichte an historischen Stätten und Storys deutlich ab, die Zahl der schönen Strände hingegen zu: Nissi Beach etwa, seit Mitte der Neunziger fest im Griff der Briten. Sie feiern hier Schaumpartys, für die Aphrodite gerne wieder auferstehen würde. Wer's ruhiger mag, ist an den Buchten des Cap Gkréko richtig – zum Sonnen, Plantschen mit Kindern und Wasserskifahren vor ankernden, schneeweißen Yachten. Das Kontrastprogramm zu dieser Reiseprospekt-Idylle gibt's auch fast überall am Wegesrand: Gründerzeit-Fassaden mit bröckelndem Putz in Limassol, vertrocknete Vorgärten mit Schrottplatzcharme und Stahlbetonskelette, die schon tot zu sein scheinen, bevor sie überhaupt belebt wurden.

Zypern inszeniert zwar seine Geschichte(n), putzt sich aber nicht heraus, ist weitgehend ungeschminkt und dann doch wieder überraschend farbenfroh: Rostrot leuchtet die Erde bei Protaras am Südost-Zipfel der Insel – nicht nur ein idealer Nährboden für die leckeren zyprischen Kartoffeln, sondern auch ein kräftiger Kontrast zu grünen Zypressen und azurblauem Meer.

  • Infos: Fremdenverkehrszentrale Zypern, Kaiserstraße 50, 60329 Frankfurt am Main, Tel.: (069) 25 19 19, www.cyprustourism.org
  • Beste Reisezeit: Frühjahr und Herbst, wenn es auf der drittgrößten Insel des Mittelmeers angenehm warm, aber nicht zu heiß ist
  • Besonderheiten: Zypern ist seit 2004 EU-Mitglied, folglich ist die Einreise mit dem Personalausweis kein Problem. Allerdings haben die im vergangenen Jahrhundert lange die Insel beherrschenden Briten ihr den Linksverkehr und englische Steckdosen hinterlassen, für die man einen Adapter braucht.
  • Literatur: »Zypern«, DuMont Reisetaschenbuch von Andreas Schneider, DuMont Reiseverlag 14,95 € oder »Zypern« aus der Reihe Vis-à-Vis, Verlag Dorling-Kindersley, 16,90 €..
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