Abgehoben: Preise für Agrarprodukte

Spekulationen auf Nahrungsmittel verschärfen Hunger und Armut in Entwicklungsländern

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Ist eine Spekulation auf Weizen, Mais, Zucker oder Soja mit dem Menschenrecht auf Nahrung vereinbar? Welche Auswirkungen haben diese Finanzgeschäfte auf den Hunger in der Welt? Die Heinrich-Böll-Stiftung und die Entwicklungshilfeorganisationen Misereor, Oxfam und Weed hatten am vergangenen Donnerstag nach Berlin eingeladen, um grundlegende Zusammenhänge zu klären.

Nach der Nahrungsmittelpreiskrise 2007/2008 erreichte der Lebensmittel-Preisindex der FAO, der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, im Januar dieses Jahres erneut ein Rekordniveau. Die Weltbank rechnet durch die jüngsten Preissteigerungen mit zusätzlich 44 Millionen Menschen in extremer Armut. Weltweit verdoppelte sich der Weizenpreis zwischen Juni 2010 und Januar 2011, der Preis für Mais stieg um etwa 73 Prozent, obwohl die Finanzkrise schon als beendet galt. Als Erklärung dafür bemühen Ökonomen teilweise Daten aus der realen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Zunehmend rückt aber die Spekulation mit agrarischen Rohstoffen als Verursacherin in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Eine ganze Palette von Auslösern nennt die Agrarökonomin Heike Höffler für die starken Preisschwankungen der jüngeren Vergangenheit. Die landwirtschaftlichen Märkte seien über das Wetter immer Produktionsrisiken unterworfen, ernteabhängig sei das Angebot kurzfristig regelmäßig unelastisch. Hinzu kommen staatliche Eingriffe und Inflation, Bevölkerungswachstum und geringe Produktivität in der Landwirtschaft vieler Länder. Aktuell hätte außerdem die Umwidmung etwa von Mais zu Biokraftstoff ihre Auswirkungen. Hohe Agrarpreise träfen außerdem die ärmeren Länder sehr unterschiedlich: Die sich weitgehend selbstversorgenden Entwicklungsländer seien noch relativ gut durch die jüngsten Krisen gekommen.

Bis zu 80 Prozent

für Lebensmittel

Zwei Drittel der ärmeren Länder sind aber Nettoimporteure von wichtigen Nahrungsmitteln. Jeder Haushalt gibt dort zwischen 60 und 80 Prozent seiner Einnahmen für Ernährung aus, während das in der EU nur etwa 15 Prozent sind. Besonders teuer seien die Lebensmittel dort, wo sich durch lange Transportwege die hohen Ölpreise negativ auswirkten. Preissteigernd wirkten auch teurere Düngemittel.

Wesentlich klarer liegen die Dinge aus Sicht des Volkswirtes Heiner Flassbeck: Die extremen Preiserhöhungen korrelierten auf längere Sicht genau mit den Ausschlägen der Preise auf vielen anderen hochspekulativen Märkten – einschließlich der Finanzmärkte. Mit anderen Worten: »Die Finanzmärkte verzerren andere Märkte«.

Flassbeck, der seit 2003 Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf ist, erklärte den Verlauf so: Mit dem Ziel einer lukrativeren Vermögensanlage würden von sogenannten Investoren immer neue Bereiche gesucht, die bisher noch nicht mit den klassischen Anlageprodukten wie Aktien oder Währungen korrelierten. So gab es Spekulationswellen auf Boden, Kunst, schließlich auf Energie- und andere Rohstoffe.

Hohe Gewinne, geringes Risiko

Ziel seien hohe Gewinne und geringe Ausfallrisiken. Inzwischen wären sowohl Öl als auch eine Reihe von Agrarerzeugnissen »finanzialisierte« Produkte, bei denen die realen Märkte so gut wie keine Auswirkung mehr auf den Preis hätten. Allein die durchschnittliche Einschätzung der Weltkonjunktur treibe die Entwicklung an den Börsen und außerhalb – in allen Anlageklassen gleichartig. Der Staat und internationale Organisationen hätten das Recht und die Pflicht hier einzugreifen, und nicht wieder nur im Krisenfall für Verluste aufzukommen.

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