Froh und ernst

»Fledermaus« in Magdeburg und Frankfurt

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf gänzlich unterschiedliche Weise nähern sich zwei Iszenierungen einer altbekannten Geschichte, nämlich jener der Johann-Strauss-Operette »Die Fledermaus«. Beide tun das erstaunlich souverän. In Magdeburg hat Aron Stiehl sich getraut, die Familie Eisenstein in ein Designer-Ambiente von heute einzuquartieren. Er lässt Alfred mit dem Fallschirm abspringen, macht den Ball zu einem schrägen Schwarz-Weiß-Event mit einem von Counter Denis Lakey hinreißend auf Karl Lagerfeld getrimmten Prinzen Orlofsky. Er jagt dessen Gäste durch den Zuschauersaal und greift auch sonst beherzt in die Aufmotzkiste.

In einem perspektivisch stark verzerrten Gefängnis lässt Stiehl auch seinen Frosch tief in die Kalauerkiste mit regionalen Bezügen greifen. Bei ihm hat es der »von und zu«-Baron mit dem ergaunerten Titel ebenso auf die Bühne gebracht wie die stadtbekannte Rempelei der Magdeburger Intendantin mit der Polizei. Obwohl damit so gut wie alle Ingredienzen des Regie-Mutwillens für eine Bruchlandung beisammen sind, passiert genau das Gegenteil. Die Fledermaus flattert und kichert, das Tempo stimmt, die Landung im Operettenhimmel ist punktgenau. Musikalisch tut man unter der schwungvollen Stabführung von Johannes Stert, was man kann.

* * *

In Frankfurt am Main setzt Dirigent Sebastian Weigle bewusst auf Noblesse und Eleganz, lässt sich in das Netz der Melodien fallen, muss aber auch keinerlei Ungereimtheiten zwischen den gesprochenen und gesungenen Texten überdecken. Regisseur Christof Loy hat »Die Fledermaus« hier nämlich weniger als Vorlage für entfesselten Frohsinn inszeniert, sondern als ernsthaft, melancholisch heiteres Spiel mit verschiedenen Identitäten. Vor allem aber hat er die drei Akte auseinandergenommen und neu zusammengesetzt.

Alles beginnt im großzügig geschwungenen und tapetengemusterten Salon gleich neben dem Ballsaal mit dem Ruf nach Amüsement. In Rückblenden wird dann, nach und nach, der erste Akt beigesteuert und auf den dritten vorausgegriffen. Beleuchtungswechsel und eine nur knapp veränderte Einrichtung genügen, um erst Eisensteins Wohnung und dann das Gefängnis zu imaginieren. Wenn dann auch noch Rosalinde zum Csárdás schweigt und die Musik nur die Begleitung für Gabriels Werben um die vermeintliche ungarische Gräfin wird, dann ist das schon ein starkes Stück. Natürlich gibt es die Klänge der Heimat auch, aber Barbara Zechmeister singt sie allein, wenn sie in ihre Identität als betrogene Ehefrau (mit Liebhaber in der Hinterhand) zurückkehrt.

Zu dieser strukturellen Abweichung kommen die Verbannung des Chores in den Orchestergraben und eine Konzentration der Ballgesellschaft auf ein halbes Dutzend genau porträtierter Ballgäste und Ballettratten. Lässt man sich darauf ein, dann bietet diese Inszenierung die Chance, bekannt Geglaubtes völlig neu zu sehen und in der Beziehungsmalaise von Rosalinde und Gabriel die tiefe melancholische Traurigkeit zu erkennen, die zur zeitlosen Essenz der »Fledermaus« gehört. Loy behauptet dabei keine neuen Gewissheiten, sondern hält die alten in einem Schwebezustand. So wie die Identität von Orlofsky, von dem man am Ende nicht mehr so genau weiß, ob er immer der blonde russische Prinz mit der gut sitzenden Uniform ist, oder nicht vielleicht doch der Gefängniswärter Frosch. Counter Martin Wölfel wechselt auf offener Bühne zwischen beiden Rollen und füllt beide hervorragend aus.

Wenn Loy seine lebenskluge »Fledermaus« dem schenkelklopfenden Operettenfrohsinn entgegenhält, dann hat er dabei noch einen Joker. Das ist Christian Ger-haher. Allein dessen elegant verdruckster, dosiert komischer und natürlich brillant gesungener Eisenstein macht diese »Fledermaus« zu einem Ereignis.

Nächste Vorstellung in Magdeburg am 17. April; in Frankfurt am Main am 7. April

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