Fascho-Erziehung im Bett

»Der Name der Leute« von Michel Leclerc

  • Angelika Kettelhack
  • Lesedauer: 3 Min.

Hören Sie auf, mit ihrer Ente zu nerven!« schreit die hübsche Umfrage-Telefonistin Bahia Benmahmoud voller Wut den gerade vom Fernsehen interviewten Tierarzt Arthur Martin (Jacques Gamblin) an, als sie frech in den Senderaum eindringt. Als der Interviewte völlig konsterniert, aber ruhig reagiert, fährt sie fort: »Die Vogelgrippe ist uns egal. Erst sind es die Kühe, dann die Vögel, am Ende die Einwanderer!«

Frankreichs Shooting-Star Sara Forestier, 25, spielt diese Bahia, impulsiv, temperamentvoll und schnell aufbrausend: Als Tochter eines algerischen Immigranten (Zinedine Soualem) und einer ziemlich ausgeflippten Mutter (Carole Franck) aus begüterter, vornehmer Pariser Familie – die ständig Schein-Ehen zwischen illegalen Immigranten und Franzosen arrangiert. Von ihr hat Bahia den Hippy-Spruch »Make Love, not War« als Lebensmotto ausgewählt und ihn modifiziert: Sie benutzt ihren Körper als Waffe zur Bekämpfung von Faschisten.

»Das Problem der Faschos ist Sex – kurz vor dem Höhepunkt traktiere ich die mit Sätzen wie ›Nicht alle Araber sind Diebe‹ oder ›Nicht alle Juden sind reich.‹ Das setzt sich dann in deren Gehirn fest,und sie ändern ihre politische Einstellung.« Das erklärt sie dem Tierarzt, mit dem sie eine Affäre begann, aus politischem Grund, aber sie hatte sich geirrt, er war bereits bekennender Linkswähler.

Im Laufe des Films konfrontiert uns der Regisseur Michel Leclerc mit jeweils drei Lebensphasen seiner beiden Hauptdarsteller, so dass manchmal Bahia und Arthur als Kind oder Halbwüchsige im Bild mit der inzwischen erwachsenen Figur konfrontiert und dabei die Familien-Geheimnisse gelüftet werden: Arthur Martin, der sich mit seinem Allerweltsnamen erst abfinden musste, hat eine Mutter (Michèle Moretti), die in Paris als Waise aufwuchs, nachdem ihre Eltern in Auschwitz vergast wurden. Sie war glücklich bei ihrer Heirat mit Monsieur Martin (Jacques Boudet), nunmehr diesen unauffälligen Namen zu bekommen und will nie wieder mit ihrem Trauma konfrontiert werden. Deshalb springt Martin senior alle Sekunden zum TV-Gerät, um dem Thema Holocaust auszuweichen – und landet bei einem Quiz, in dem das Wort Genozid gesucht wird.

Auch die Benmahmouds haben ihr Tabu: Bahia ist als Kind von ihrem Klavierlehrer sexuell missbraucht worden, und deshalb versucht ihre Familie, der Medien-Lawine zum Thema Kindesmisshandlung auszuweichen. So unterschiedlich beide Familien durch Herkunft und Umwelt geprägt sein mögen (dies wollen die beiden Autoren des Films zeigen), so viele Gemeinsamkeiten haben sie dennoch. Genau das will die unorthodoxe Bahia, die mit Stolz immer wieder auf ihren seltenen Namen hinweist, herausfinden: Inwieweit können »Bastarde« wie sie und Arthur, Kinder arabischer, jüdischer und anderer Einwanderer, sich zusammentun, um sich länderübergreifend einander näherzukommen, sich vielleicht zu lieben.

Bahia und Arthur jedenfalls wollen es in dieser erfrischend leichten, doch tiefsinnigen Komödie vorleben: Sie werden ihren Sohn Tchang nennen. Für wen wird dieser jüdisch-arabisch-französische Junge mit dem asiatischen Namen dann ein Fremder sein?

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