Verschwörung, Reformen, Bedürfnisse

Syriens Präsident ortet Motive der Proteste – und kündigt Änderungen an

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat am Samstag die Aufhebung des seit Jahrzehnten herrschenden Ausnahmezustandes »innerhalb einer Woche« angekündigt. Auch das Parteiengesetz soll geändert werden. Die Kurden in Syrien erhielten bereits vor zwei Wochen die vollen syrischen Bürgerrechte, ein neues Mediengesetz und Reform der lokalen Verwaltung soll »die Kluft zwischen den staatlichen Institutionen und den syrischen Bürgern« schließen.

Es müsse »neues Vertrauen der Bürger in die Institutionen« geschaffen werden, sagte Assad in seiner vom Fernsehen übertragenen Rede am Sonnabend. Er mahnte einen »breiten und stärkeren« Dialog mit der Bevölkerung an. Assad bedauerte ausdrücklich, dass in den vergangenen Wochen viele Menschen getötet und verletzt wurden.

Seit 1963 herrschte in Syrien der Ausnahmezustand, der die politische Betätigung, das Versammlungsrecht, Pressefreiheit, die Privatsphäre und das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränkte. Dieses Gesetz soll nun durch ein Bündel neuer Gesetze ersetzt werden, die dem »internationalen Standard und Praktiken in anderen Ländern der Welt« entsprechen, sagte Präsident Assad, der ein neues Demonstrationsrecht ankündigte. Die Polizeikräfte müssten »die Demonstranten ebenso schützen, wie öffentliches und privates Eigentum«. Entsprechend müsse die Polizei geschult, aufgestockt und ausgerüstet werden. Manche Stimmen hätten davor gewarnt, den Ausnahmezustand aufzuheben, weil dies die Sicherheit Syriens gefährde, sagte Assad: »Ich meine, dass die Aufhebung des Ausnahmezustandes die Sicherheit in Syrien ausweiten wird.« Sicherheit werde erreicht, indem »die Würde der Syrer gewahrt« werde.

Assad sprach nach der Vereidigung der neuen Regierung. Er habe sich mit Bürgern aus allen Gesellschaftsschichten und allen Teilen des Landes getroffen, das habe ihm deutlich vor Augen geführt, wie sehr sich die staatlichen Institutionen von der Bevölkerung entfernt hätten, so der Präsident. »Verschwörung, Reformen und Bedürfnisse«, seien die Gründe für die Demonstrationen in den vergangenen Wochen gewesen. Verschwörung werde es geben, solange die Regierung eine Politik mache, die anderen nicht gefalle, man solle dem nicht so viel Bedeutung schenken, meinte der ausgebildete Arzt Assad. Wichtiger sei, »dass wir die inneren Abwehrkräfte in Syrien stärken«, das hänge direkt von den Reformen und Bedürfnissen der syrischen Bevölkerung ab. Assad räumte ein, dass die Arbeitslosigkeit besonders unter der Jugend in Syrien enorm hoch sei. Wenn Menschen keine Perspektive hätten, sei Depression und Frustration die Folge, was sich »gegen die Familie, gegen die Gesellschaft oder gegen den Staat« richten könnte. Ausführlich erläuterte er wirtschaftliche und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die von der neuen Regierung rasch umgesetzt werden müssten.

In Verbindung mit den wirtschaftlichen Problemen ist die komplette Abschaffung des Amtes von Ali Al-Dardari auffällig, der in der vorherigen Regierung als Stellvertretender Ministerpräsident für wirtschaftliche Angelegenheiten für die rasante Umstellung auf eine kapitalistische Marktwirtschaft zuständig und bei Syrern außerordentlich unbeliebt war. Während westliche Staaten und Berater die Arbeit von Dardaris lobten, führten die von ihm vorgenommenen Wirtschaftsreformen dazu, dass Reiche immer reicher, Arme aber immer ärmer wurden. Subventionen wurden gestrichen, Preise gingen durch die Decke, ausländische und staatliche Investitionen räumten der breiten Bevölkerung keine Chancen ein.

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