Hohe Haftstrafen für fahrlässige Manager

Thyssen-Manager werden in Italien wegen eines Brandes zu bis zu 16 Jahren Haft verurteilt

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Sieben Mitarbeiter von ThyssenKrupp waren bei einem Fabrikbrand im italienischen Turin umgekommen. Nun wurden mehrere Manager des Unternehmens zu hohen Haftstrafen von bis zu 16 Jahren verurteilt. ThyssenKrupp lehnt das Urteil ab.

Mit großer Spannung wurde das Urteil erwartet, mit großer Erleichterung und Genugtuung bei den Klägern aufgenommen: Das Turiner Schwurgericht unter Vorsitz von Maria Iannibelli hat die Manager des früheren ThyssenKrupp-Werkes zu hohen Haftstrafen wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Der ehemalige Chef des Unternehmens in Italien, Harald Espenhahn, wurde zu 16 Jahren und sechs Monaten, die Direktoren Gerald Priegnitz, Marco Pucci, Raffaele Salerno und Cosimo Cafuerri zu je 13 Jahren und sechs Monaten sowie Daniele Moroni zu zehn Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Das Gericht entsprach mit den Urteilen dem Antrag der Staatsanwaltschaft. In der Urteilsbegründung erklärte Richterin Iannibelli, die Angeklagten seien für schuldig befunden worden, die Brandschutz- und Sicherheitsmaßnahmen im ThyssenKrupp-Werk in Turin vernachlässigt zu haben. Bei einem Brand am 6. Dezember 2007 waren sieben Mitarbeiter des Unternehmens qualvoll zu Tode gekommen. Einige von ihnen hatten bis zu drei Wochen ihre schweren Leiden ertragen müssen.

Feuerlöscher und Notruftelefon versagten

Der Brand war nach einer Explosion in einer Werkhalle ausgelöst worden. Weder die Feuerlöscher noch das Notruftelefon funktionierten, so ergaben die Ermittlungen im Nachhinein. Den Managern war im Prozess vorgeworfen worden, die Sicherheitsbestimmungen grob vernachlässigt und notwendige Kontrollen und technische Überprüfungen unterlassen zu haben. Vor allem nach Bekanntwerden der Schließungsabsichten habe man alle notwendigen Wartungen und Reparaturen am Sicherheitssystem unterlassen. Die Staatsanwaltschaft warf in ihrer Anklage den Managern vor, mit dieser Unterlassung das »Risiko eines Brandes bewusst in Kauf genommen« und somit das Leben von Mitarbeiter aufs Spiel gesetzt zu haben. Das Turiner Werk von ThyssenKrupp wurde im März 2008 geschlossen.

Das Unternehmen wurde zu einer Geldstrafe von einer Million Euro (1,3 Millionen Franken) verurteilt. Außerdem wurde über den multinationalen Stahlkonzern, der seinen italienischen Hauptsitz in Terni hat, eine halbjährige Werbesperre verhängt. Zudem muss ThyssenKrupp an die umliegenden Gemeinden des Unglücksortes Entschädigungen zahlen, so eine Million Euro an die Stadt Turin, 97 300 Euro an die Region Piemont, 500 000 an die Provinz Turin sowie je 100 000 an die Gewerkschaften Fim-Cisl, Fiom-Cgil, Uim-Uilm und Flm-Cub. Weitere 100 000 Euro sind der Assoziation Medicina Democratica zu zahlen.

Für die als Nebenkläger auftretenden Angehörigen war das Urteil eine schmerzliche Genugtuung.

Turiner Urteil könnte Präzedenzfall werden

Ein Sprecher der Metallarbeitergewerkschaft Fiom nannte das Urteil von Turin historisch. Es bedeute eine Zäsur für Italien. Seit langen Jahren ist die Sicherheit am Arbeitsplatz ein stetes Thema im Lande, das selbst bis in die höchsten politischen Kreise diskutiert wird. Tödliche Unfälle in Unternehmen und vor allem auch auf Baustellen haben ein unerträgliches Ausmaß erreicht, so dass sich sogar Giorgio Napolitano genötigt sah, einen speziellen Präsidentenerlass zur Sicherheit am Arbeitsplatz zu verkünden.

Alle bisherigen Appelle scheinen jedoch wenig gefruchtet zu haben, immer wieder vermelden die Medien neue Unfälle mit tödlichem Ausgang. Das Turiner Urteil könnte aber eine Wende herbeiführen: Betroffene können sich auf dieses Präzedenzbeispiel berufen und Unternehmen sollten sich nun endlich in der Pflicht sehen, die bestehenden Vorschriften zu erfüllen und weitgreifende Investitionen in die Sicherheit von Betrieben und Baustellen vorzunehmen.

ThyssenKrupp selbst wies nach dem Urteil jede Schuld von sich. Das Urteil sei »unverständlich und nicht nachvollziehbar«. Rechtsanwalt Cesare Zaccone kündigte Berufung an. Allerdings räumte er ein, dass er kaum eine Abänderung des Urteils erwarte.

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