Langer Weg zur Zeitenwende

Handballserienmeister THW Kiel hat heute im Spitzenspiel seinen fast sicheren Nachfolger HSV Hamburg zu Gast

  • Erik Eggers, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Langen Atem haben sie bewiesen in Hamburg. »Wir wollen der FC Bayern des Handballs werden«, hatte Mäzen Andreas Rudolph 2004 angekündigt, da hatte er das Präsidentenamt just übernommen. Zwei Jahre später, als der Klub mit dem DHB-Pokal seinen ersten Titel feierte, verkündete der millionenschwere Medizintechnik-Unternehmer seine Vision, »Meisterschaft und Champions League zu gewinnen«. Ein Teil davon ist dem HSV vor dem heutigen Spitzenspiel bei Rekordmeister THW Kiel nur noch theoretisch zu nehmen. Hamburg (52:4 Punkte) hat sechs Spieltage vor Ultimo sieben Zähler Vorsprung vor dem THW und den Rhein Neckar-Löwen.

Da sich die unheimliche Serie der Kieler »Zebras« – sechs Titel in Folge – dem Ende neigt, sprechen manche Beobachter gar von einer Zeitenwende, von einer neuen Ära des Klubhandballs. Zwar hat der HSV nun seit 234 Tagen in der Liga nicht verloren, aber die Glückwünsche der Trainerkollegen will HSV-Coach Martin Schwalb nicht entgegennehmen. »Über die Meisterschaft rede ich nicht, bevor wir es geschafft haben«, sagt er. Die Erfahrungen aus dem Vorjahr, als sie durch Heimniederlagen gegen Gummersbach und Kiel den Titel noch aus der Hand gaben, haben die Hanseaten Demut gelehrt.

Bemerkenswert wäre die Meisterschaft in vielfacher Hinsicht. Seit Einführung der Bundesliga 1977 wird die Sportart vom THW Kiel (13 Titel) und von eher dörflich geprägten Traditionsklubs wie dem TV Großwallstadt (6), VfL Gummersbach (5), Flensburg, TBV Lemgo (2) oder SG Wallau-Massenheim (2) dominiert, eine Ausnahme bildeten die drei Meisterschaften des TuSEM Essen in den 80er Jahren. Nun wird mit dem HSV erstmals ein Klub Meister, der als argwöhnisch beäugtes Retortenprojekt startete, als er 2002 mit der Lizenz des VfL Bad Schwartau in die Hansestadt zog.

Es war ein Start mit Hindernissen. Der erste Boss Wilfried Klimek übergab die Gehaltsschecks zunächst persönlich, wenn sie überhaupt ausgestellt wurden; wenig später saß er wegen Insolvenzverschleppung hinter schwedischen Gardinen. Erst mit einem Trick, erinnert sich der heutige Vizepräsident Dierk Schmäschke schmunzelnd, sei man Klimek 2004 losgeworden: Damals habe man den Präsidenten und Erfüllungsgehilfen Klimeks abgewählt, indem man vor einer Vereinsversammlung Spieler und Freunde zu HSV-Mitgliedern gemacht habe.

Seither ist die Entwicklung atemberaubend. Während früher der Unterrang der Halle zuweilen nicht gefüllt war, stellt der HSV dieses Jahr mit knapp 11 000 Fans im Schnitt einen Zuschauerrekord auf. »Wir sind angekommen in Hamburg«, sagt Schmäschke stolz. »Der Handball ist hier inzwischen fest verwurzelt.« Als Erfolgsgeheimnis preist er neben Rudolph, der seit 2004 rund 20 Millionen Euro in die Mannschaft gesteckt haben soll, das Konzept. »Wir haben wenig gewechselt in den letzten vier Jahren, die Kontinuität zahlt sich jetzt aus«, sagt der 52-Jährige. In der Tat hat das Team seit 2007 sein Gesicht kaum verändert. Im vergangenen Sommer ergänzte man es lediglich durch Spielmacher Michael Kraus.

Im Sommer aber stehen wichtige Veränderung an: Auf Schwalb, der Geschäftsführer (oder Bundestrainer) wird, folgt Per Carlén. Und Rudolph wird sein Präsidentenamt aufgeben, weshalb unklar ist, ob diese Finanzquelle weiter fließt. Schwalb immerhin glaubt fest daran: Es hänge nicht alles an Rudolph, sagt er, »dennoch ist es natürlich klar, dass es ohne Andreas Rudolph schwierig wäre. Der HSV, wie er jetzt besteht, wäre ohne sein Engagement nicht denkbar.« Und eine langfristige Dominanz, wie die des FC Bayern, wohl auch nicht.

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