God save the Spleen

Reiner Oschmann über die »Hochzeit des Jahres«

  • Lesedauer: 5 Min.

Wer sagt, dass das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Weltgeltung heute im Grunde nur noch für sein Königshaus erntet, der übertreibt wenig. Auch das ein Zeichen des Niedergangs einer einstigen Weltmacht. Aus dem Empire, in dem die Sonne nie unterging und das Blut nie trocknete, ist ein Verein innerer Fliehkräfte geworden: Das Wahlsystem untauglich und ungerecht, die Wirtschaft ohne eigene Industriebasis, der Fußball teuer wie nie und insgesamt schlecht wie lange nicht – bloß mit dem Königshaus lässt sich international noch Staat machen.


Momentan in Erwartung »der Hochzeit des Jahres«, die am Freitag über die Bühne gehen wird. Michael, ein langjähriger englischer Freund, schrieb mir zu Beginn des Monats: »Die Last des Augenblicks hat nichts zu tun mit unserer Wirtschaft oder Libyen, sondern der Frage, ob man ein Straßenfest veranstaltet oder nicht, wenn Prinz William heiratet. Das Ganze ist so öde wie nur irgend was. Könnte ich, würde ich auswandern.«

Man muss wissen: Michael ist über siebzig, und sein Haus im Südwesten Londons würde er nicht so schnell und kaum mit Gewinn los – so wie die Dinge auf dem taumelnden Immobilienmarkt stehen.


Die Royal Wedding des Sohns von Thronfolger Charles und Prinzessin Diana mit der Bürgerlichen Kate Middleton wird die gigantische Hochzeit von Charles und Diana vor 30 Jahren in den Schatten stellen und so auf ihre Weise bestätigen, dass Tragödie plus Zeit tatsächlich die verlässlichsten Zutaten für eine Komödie sind. Charles ist als König im Wartestand mittlerweile 62, die Ehe mit Diana war lange gescheitert, bevor diese im Sommer 1997 bei einem Autounfall in Paris starb. Als ob das nicht heftig genug wäre, wollen Diskussionen seit Jahren nicht verstummen, ob die Thronfolge von Königin Elizabeth II. (inzwischen 85 und 2012 sechs Jahrzehnte im Amt) von ihr statt auf den Sohn nicht gleich auf Enkel William übergehen sollte. Die ungeschriebene englische Verfassung schließt das aus. Also konzentriert sich vorerst alle Aufmerksamkeit auf die Trauung am 29. April in der Westminster Abbey.


Rund 8 000 Fernseh- und Rundfunkkorrespondenten aus aller Welt werden aus London berichten, wenn Prinz William in Luftwaffenuniform seine Verlobte zum Altar führt. Geschätzte zwei Milliarden Menschen werden die Live-Übertragung am Fernseher verfolgen. Wiewohl diese Zahl, auch nach dem Ereignis, nie genau zu verifizieren sein wird, verzwergt sie die 750 Millionen, die im Juli 1981 am Bildschirm gewesen sein sollen, als sich der Hochzeitstraum von Charles & Diana in St. Paul's Cathedral noch nicht in den Alptraum des königlichen Alltags gewandelt hatte. Piers Morgan, früher Chefredakteur des britischen Boulevardblatts »Daily Mirror« und heute Talkshow-Moderator für den US-Fernsehsender CNN, versicherte mit Blick auf morgen: »Das wird das größte Ereignis in der Fernsehgeschichte, weil es auf der Welt keine größeren Berühmtheiten als die Royals gibt.«

CNN stockt sein Londoner Team für die Hochzeit um weitere 50 Leute auf, an der Strecke zur Westminster-Abtei werden rund 150 Riesentrucks die TV-Übertragung technisch absichern, am Parliament Square sind die Bäume gestutzt worden, um bessere Sicht zu gewähren, während zugleich eine enorme Sicherheitsoperation läuft: Neben den 50 ausländischen Staatsoberhäuptern, die auf London herabregnen, werden Tausende Polizei- und Sicherheitsbeamte unterwegs sein. Scharfschützen und berittene Patrouillen sichern sich Schlüsselpositionen, Geheimdienstleute mischen sich unters Volk, Spürhunde lassen bis zur Hochzeit keine Nische in der Abtei unbeschnuppert, unterirdische Kanäle und Gänge werden versiegelt.


Nach Meinung des »Guardian« ist das Interesse an der Hochzeit 2011 in den USA und auch in Deutschland größer als auf der Insel. Auch dort wird zwar alles im Zeichen der Royal Wedding stehen, doch sowohl bei den Medien als auch in der Bevölkerung gibt es weniger Hype als vor der Hochzeit von Charles und Diana. Anteil daran haben sowohl die gestiegene Monarchiemüdigkeit als auch das Verhalten der heutigen Brautleute. William ist ein gebranntes Kind, das an seiner Mutter Diana erlebt hat, wie schnell ein Royal zum Kanonenfutter der Boulevardmedien werden kann. Die meisten Briten sind in den letzten Jahren nicht zu Monarchiefeinden geworden, wohl aber zur Erkenntnis gekommen, dass der Sättigungsgrad noch der schönsten Königshochzeit begrenzt ist.


Zu Zeiten Queen Victorias sagte der englische Staatsrechtler Walter Bagehot: »Solange das menschliche Herz stark ist und die menschliche Vernunft schwach, wird die Monarchie stark sein.« Der kluge Satz erklärt, wie es ein solcher Anachronismus wie ein Königshaus mit Erbfolgeregel schaffen konnte, zum modernsten Anachronismus zu werden. Historiker Christopher Hitchens spann Bagehots Faden weiter: »Das Überleben des Royalismus in dem einzigen einflussreichen Land, in dem er noch herrscht, war immer schon auf eine gewisse Schizophrenie angewiesen: Die Menschen müssen die Monarchie ernst nehmen, obwohl sie gleichzeitig wissen, dass sie eine Absurdität ist.« Die britische Monarchie, die stets zugeständnis-resistenter als die radelnden Kollegen in Holland, Schweden oder Dänemark auftritt, ist die Hefe, aus der das Brot von Tradition und Einheit der Nation gebacken wird. Politik-Professor Ralph Miliband, Vater von Ex-Außenminister David und dem heutigen Labour-Führer Ed Miliband, hielt fest, die Funktion der Royals bestehe darin, »Gefühle zu stärken der Loyalität, des Patriotismus, der Einheit, der Mäßigung, des Traditionsbezugs, der militärischen Tapferkeit, des imperialen Erbes und was sonst noch dabei helfen könnte, die Gefahr der Entfremdung der Arbeiterklasse vom politischen und gesellschaftlichen System zu vermindern.«

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