Treffpunkt für alle im Dorf

Soziale Zentren im Baskenland halten die Widerstandskultur auch in ländlichen Regionen lebendig

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 6 Min.
Im baskischen 2300-Seelen-Dorf Irurtzum gibt es das soziale Zentrum »Pikuxar« mit Kneipe, Küche und Räumen, in denen Veranstaltungen stattfinden, Feste organisiert und derzeit Proteste gegen die geplante Schnellzugtrasse vorbereitet werden.
Treffpunkt für alle im Dorf

Die breite linke Widerstandskultur im Baskenland ist bekannt, aber dass sie sich stark auf die soziale und kulturelle Arbeit vieler Menschen in Kleinstädten und Dörfern stützt, ist bei weitem nicht so publik. Was in Deutschland unvorstellbar scheint, ist hier Realität: Sogar in Dörfern mit einigen hundert Einwohnern gibt es selbstverwaltete Zentren oder ein Gaztexe (Jugendzentrum) und manchmal auch beides, wie in der Ortschaft Irurtzun. Das Dorf mit etwa 2300 Bewohnern liegt an zwei riesigen Felsen, die wie ein Tor die Grenze markieren zwischen den bewaldeten grünen Bergen in der Provinz Navarra kurz vor Iruña (Pamplona) und der karstigen und trockenen spanischen Hochebene der Iberischen Halbinsel.

An der Situation hatte Patxi Uranga einen bedeutenden Anteil. Er setzte sich dafür ein, neben dem Gaztexe einen ständigen Anlauf- und Treffpunkt für kulturelle und politische Aktivitäten zu schaffen. »Ideologisch gibt es keine Differenzen zum Gaztexe, bestimmend sind eher persönliche Prioritäten«, erklärt er. Auch er war früher im Kampf um das Jugendhaus aktiv. Vor 15 Jahren wandte er sich stärker traditioneller Kulturarbeit zu, dazu habe auch ein »exzessiver Drogenkonsum« im Gaztexe beigetragen.

Räume für Kultur und zur politischen Debatte

Der junge Mann schloss sich der Tanzgruppe Orritz an, die damals schon zehn Jahre bestand. »Es ist erstaunlich, dass sich 40 Leute jeden Freitag zum Tanzen treffen.« Doch nicht immer werden traditionelle Tänze geübt. Bisweilen wird einfach über Politik debattiert, werden Veranstaltungen, Feste oder Ausflüge geplant. Orritz war der Keim für eine Vielzahl von Gruppen, die sich im Dorf gebildet haben.

Patxi, der auf einem Bauernhof arbeitet und selbst einen kleinen Hof in den Bergen hat, ist der Prototyp eines organischen Intellektuellen nach Antonio Gramsci. Der geübte Organisator überzeugte viele von der Bedeutung eines eigenen Zentrums. Als eine Kneipe im Dorf zu vermieten war, ging es vor gut zehn Jahren los. »Pikuxar« wurde geboren. Das Haus steht an der Hauptstraße des Dorfes neben schnell hochgezogenen Gebäudenkomplexen, die einen scharfen Kontrast zu vielen pittoresken kleinen Dörfern im Umland bilden.

80 Mitglieder gründeten den Verein, in dem Patxi heute nur noch einfaches Mitglied ist. »Den Karren ziehen heute andere«, sagt er auch mit Blick auf seinen jüngeren Bruder. Mitgliedsbeiträge decken die Unkosten des Pikuxar. Bezahlt werden drei Angestellte, welche die Info-Kneipe betreiben, die oft die Ausgaben nicht decken kann. »Aber man braucht Räume, um sich zu treffen, sich austauschen oder etwas zu entwickeln«, ist Patxi überzeugt. »Das ist die Basis für jede Mobilisierung«. Die Mitglieder nutzen die Räume über der Kneipe, um gemeinsam zu kochen. Doch es werden auch Streiks in den umliegenden Firmen, der Widerstand gegen die geplante Schnellzugtrasse durchs Tal oder eines der vielen Feste organisiert. Es finden zudem Veranstaltungen zu Umweltthemen, zu politischen Gefangenen oder Konzerte statt.

Zur Tanzgruppe kamen bald politische Gruppen hinzu, dazu kam Musik- und Kulturgruppen, die alte Traditionen fortführen, wie Zanpanzar (Glockenmenschen) oder die Gruppe, die mit riesigen Figuren aus der baskischen Mythologie auf Festen auftritt. Sogar in Nürnberg auf dem Bardentreffen sorgten die baskischen Gruppen für Furore, wie zur Unterstützung des Widerstandshauses in Bure, gegen das geplante Endlager für französischen Atommüll. Insgesamt sind in den Gruppen etwa 200 Personen aktiv, die eine Vielzahl von Aktivitäten ermöglichen, wie das Festival »Piku-Rock«.

Für die baskische Sprache einzutreten, ist zentraler Bestandteil der gemeinsamen Arbeit. Tagungssprache ist die älteste Sprache Europas: Euskera. Anders als in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft (CAV) wird sie in der Provinz Navarra weiter an den Rand gedrängt. Seit 30 Jahren warten die Menschen hier auf ein Referendum über einen Zusammenschluss ihrer Provinz mit der CAV, den die spanische Verfassung vorsieht. Wäre eine solche Abstimmung erfolgreich, würde baskisch zur offiziellen Sprache werden. Erreicht haben sie bislang nur, dass die rechte Regionalregierung Navarras das Dorf Irurtzun nicht mehr zur Mischzone, sondern zur baskischen Sprachzone zählt.

Mit der Zonenpolitik, welche die Provinz in drei Sprachgebiete aufteilt, versucht die Regierung die baskische Sprache zu isolieren. Nur in einer kleinen Zone haben baskisch Sprechende noch gewisse Sprachrechte. Sonst wird die Ursprache Navarras geduldet, die in der Franco-Diktatur 40 Jahre lang verboten war, und deren Verwendung auch heute noch von spanischen Nationalisten bekämpft wird.

Anders als in Irurtzun wird in Arizkun fast ausschließlich Euskera gesprochen. Wo sich das Baskenland von einer seiner schönsten Seiten zeigt, liegt das Dorf mit seinen 400 Einwohnern in den Bergen Navarras. Ein Tal durch die Pyrenäen verbindet es mit Baigorri auf der französischen Seite. Und hier findet sich »Gamioxarrea«, der Sitz der Gruppe »Jo ala Jo«. »Eigentlich wollte ich nur Txalaparta spielen und nun stecke ich tief hier drin«, beschreibt die junge Baskin Oianko Garde die Entstehungsgeschichte. Sie zeigt dabei auf das Natursteingebäude aus dem 18. Jahrhundert. Diese Fabrik bekam die Gruppe für 20 Jahre vom Besitzer überlassen, als Dank dafür, eine alte Tradition der Vergessenheit entrissen zu haben. Sie ist der soziale und politische Treffpunkt vor Ort.

Sich Geschichte und Tradition aneignen

Oianko lernte 1999 in einem Kurs Txalaparta zu spielen. Bewaffnet mit zwei Stöcken (Stuhlbeinen ähnlich) werden dabei auf einem oder mehreren Holzbalken traditionelle Rhythmen gespielt. Die Stöcke werden, anders als beim Schlagzeug, senkrecht mit dem dickeren Ende auf die Balken geschlagen. Das mythenumrankte Instrument ist fest verwurzelt und wird oft zu festlichen Anlässen gespielt.

Doch ihr Lehrer, Patxi Larralde, führte die Gruppe auf eine Reise in die eigene Vergangenheit. Schnell stieß man auf die Tradition des »Sagardoa« (Apfelwein) und damit auf die »Kirikoketa«, die zur Produktion einst unerlässlich war. Diese schweren Stampfer dienten nicht nur zum Stampfen der Äpfel, sondern auch als Musikinstrument. Bei Studien lernten sie eine alte Frau kennen, die sich noch lebhaft erinnerte, wie einst der Apfelwein gemacht wurde. »Sie erinnerte sich auch an Lieder, die zu den Rhythmen gesungen wurden,«, erklärt Oianko. So war die Arbeit angenehmer, wenn anderthalb Tonnen Äpfel zum Pressen vorbereitet wurden.

»Die Tatsache, dass solche Gebäude hier extra zur Apfelwein-Produktion gebaut wurden, zeigt dessen wirtschaftliche Bedeutung«, erklärt Itziar Torres. Die zierliche junge Frau erklärt, dass in den 15 Dörfern, die den Gemeindeverbund Elizondo mit etwa 8000 Einwohnern bilden, noch etliche »Dolare« (Keltereien) zu finden seien. Die offenen Täler liegen hier nur etwa 50 Kilometer von der Küste entfernt. »Jeder Seefahrer hatte einst das Recht auf drei Liter Apfelwein am Tag«, fügt Itziar zur Bedeutung des Getränks an, das aufgrund seiner Vitamine die Walfänger auf ihren langen Reisen vor Skorbut bewahrte.

Teile der Holzpressen nahmen die Arbeiterinnen und Arbeiter nach Feierabend mit vor das eigene Haus und spielte »trocken« auf den Balken die Rhythmen nach. Vermutlich entstand so das Txalaparta-Spiel, meinen die beiden Frauen. Für sie ist die Suche nach den eigenen Wurzeln wichtig. Sie sind überzeugt, dass eine eigene und vor allem bessere Zukunft nur aus der Kenntnis der Vergangenheit möglich ist. Die Tradition ist aber nur ein Teil der Arbeit, auch wenn seit 2005 jährlich wieder traditionell bei einem Fest im Gamioxarrea-Gebäude Apfelwein produziert und später verkostet wird.

Die Aktivitäten haben sich längst ausgeweitet. Mit dem Jugendrat wurde auch in Elizondo ein Gaztexe erkämpft, in dem viele politische und kulturelle Aktivitäten organisiert werden. Wie in Irurtzun ist auch diese Gruppe aus dem kulturellen und politischen Leben der Region nicht wegzudenken. Die Netzwerke und das vielfältige selbstbestimmte Angebot, sorgen dafür, dass auch viele junge Menschen nicht daran denken, ihre Dörfer zu verlassen.

Die Baskinnen Itziar und Oianko spielen Txalaparta: Mit Stöcken werden auf Holzbalken traditionelle Rhythmen gespielt.
Die Baskinnen Itziar und Oianko spielen Txalaparta: Mit Stöcken werden auf Holzbalken traditionelle Rhythmen gespielt.
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