Thüringen wird wieder Storchenland

Im Freistaat gibt es wieder viele Brutpaare – so viele, dass es langsam eng wird

  • Ulrike Hendan, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Störche erobern Thüringen zurück. Viele von ihnen sind Zugezogene aus Frankreich oder Süddeutschland, die dringend neue Nester suchen.

Barchfeld/Seebach. Die ersten Störche saßen schon im März auf ihren Eiern. Inzwischen sind 16 Horste in den Flussauen der Werra belegt, die bei Thüringens Weißstörchen zu den beliebtesten Kinderstuben zählen. Deshalb wird es langsam eng. »Hier mangelt es schon an geeigneten Brutplätzen«, sagt Klaus Schmidt vom Thüringer Ornithologenverband. Der Vogelkundler aus Barchfeld im Wartburgkreis beobachtet die Tiere seit 1966. »Störche benötigen hoch gelegene Horste, die sie von unten aus anfliegen können«, sagt er. Stimme auch das Nahrungsangebot, stünden die Chancen gut, dass sich noch mehr Weißstörche im hessisch-thüringischen Grenzland niederlassen.

Vor knapp 50 Jahren brüteten an der Werra nur zwei Storchenpaare. Seitdem ist der Bestand insbesondere in West-, Nord- und Mittelthüringen gewachsen. Die Vogelkundler zählten im vergangenen Jahr auf Schornsteinen, Masten, Häusern oder Bäumen landesweit 29 Brutpaare – so viele wie seit 80 Jahren nicht mehr. »Es ist außerdem mit einer weiteren Bestandzunahme zu rechnen«, prognostiziert Schmidt.

In die Freude der Fachleute mischen sich allerdings Sorgen um die Überlebenschancen der Jungtiere. Nicht nur bei ihren Reisen über dem Mittelmeerraum drohen den Zugvögeln Gefahren. Die Vogelschutzwarte Seebach nimmt mindestens einmal pro Jahr einen Weiß- oder Schwarzstorch auf – wegen gebrochener Flügel oder nach Stromschlägen. An Mittel- und Hochspannungsleitungen zögen sich die Tiere manchmal schwere Verletzungen zu, erzählt Stefan Jaehne von der Vogelschutzwarte. »Wir hoffen, dass wir die Netzbetreiber dazu überreden können, bei Projekten wie der 380-Kilovolt-Trasse reflektierende Gegenstände hoch oben an den Masten anzubringen«, sagt er. Störche sähen zwar rechtzeitig die Stahltürme, nicht aber die Blitzschutzkabel, die über die Leitungen hinausragen. Diese würden ihnen zum Verhängnis.

Eine große Gefahr für den Nachwuchs der Frühlingsboten bergen auch lange Regen- und Kälteperioden. »Die Storcheneltern wärmen ihr Gelege. Wenn sie aber völlig durchnässt und unterkühlt sind, hat das auch keinen Sinn mehr«, erklärt Ornithologe Schmidt. Zwei bis drei Junge zieht ein Paar im Durchschnitt nach etwa einmonatiger Brutzeit auf, selten sind es vier oder fünf. Viele von ihnen bleiben in Thüringen, einige verschlägt es aber auch weiter nordwärts nach Sachsen-Anhalt.

Ganz im Gegensatz zu ihren weiß gefiederten Verwandten sind die Schwarzstörche scheue Waldvögel. Es ist schwer zu glauben, aber in Thüringen leben mit rund 50 Brutpaaren deutlich mehr Schwarz- als Weißstörche. Sie finden im Thüringer Wald, im Harz und in der Rhön beste Bedingungen vor, um in aller Heimlichkeit zu brüten. »Wir planen, einige Tiere im Sommer erstmals zu beringen«, sagt Jaehne. »Hochklettern, den wütenden Storch in einen Sack packen, abseilen und unten beringen«, erläutert er das Vorgehen. Bei der Aktion im Juli soll den Thüringern ein erfahrener Beringer aus Mecklenburg-Vorpommern helfen.

Ornithologe Schmidt muss beim Beringen junger Weißstörche im Frühsommer die Feuerwehr um Hilfe bitten, um die Nester zu erreichen. 10 bis 20 Mal wird ein beringter Storch in seinem Leben gemeldet. Dank der Markierungen weiß Schmidt daher, welche Tiere aus Thüringen stammen und welche Brutpaare aus Frankreich, Baden-Württemberg oder Bayern zugereist sind. »Die Populationen in Südwesteuropa sind größer geworden, so dass die Reviere dort nicht mehr ausreichen«, erklärt er. Thüringen könnte nach Ansicht von Vogelkundler Jaehne insofern noch storchenfreundlicher sein – mit mehr naturbelassenen Flussauen und einer weniger intensiv betriebenen Landwirtschaft.

Wer in diesem Frühjahr noch kein Glück hatte, begegnet an der Vogelschutzwarte mit großer Wahrscheinlichkeit einem Storch. Der Patient hatte sich nach seiner Heilung von einem Stromschlag an die bequeme Fütterung gewöhnt. »Dieser Schwarzstorch ist nicht mehr auswilderungsfähig«, sagt Jaehne. Dass seine Artgenossen im Wald jeden Menschen an ihrem Horst aggressiv zu vertreiben versuchen, ist dem Maskottchen der Vogelschutzwarte wohl nicht bewusst.

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