Hartz-IV-Sanktionen drücken die Löhne

Eine Anhörung des Bundestags beschäftigte sich mit den umstrittenen Leistungskürzungen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Zuge der Hartz-IV-Reformen 2005 wurden auch die Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose verschärft. Am Montag beleuchtete eine Expertenanhörung des Bundestags das Sanktionssystem. Dabei zeigte sich, dass

viele Sachverständige die Leistungskürzungen für wenig hilfreich halten.

Sanktionen kennt man normalerweise nur aus der großen Weltpolitik. Die UNO verhängt sie gegen gewalttätige Diktatoren und Regimes. In Deutschland allerdings belegt man auch die Armen mit Sanktionen. Wer als Hartz-IV-Bezieher einen Termin auf dem Amt versäumt oder eine bestimmte Arbeit nicht annehmen will – der wird bestraft. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 827 000 solcher Sanktionen verhängt. Also der ohnehin schmale Hartz-IV-Regelsatz gekürzt. Im Extremfall können die Hartz-IV-Leistungen komplett gestrichen werden. Allmonatlich betrifft dies im Durchschnitt 12 000 Menschen.

Grund genug für die Bundestagsfraktionen der LINKEN und der Grünen, sich mit zwei verschiedenen Anträgen der Problematik anzunehmen. Während die Linksfraktion die Sanktionen ganz abschaffen will, geben sich die Grünen mit einem vorläufigen Aussetzen der Strafen zufrieden.

Am Montag beschäftigte sich nun der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales in einer Expertenanhörung mit den beiden Anträgen. Als Fachleute geladen waren unter anderem Vertreter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des DGB sowie Einzelsachverständige wie der Soziologe Stephan Lessenich. Bereits in den schriftlichen Stellungsnahmen der Experten wurde klar, dass die Sanktionen auch fünfeinhalb Jahre nach ihrer Einführung ohne empirische Grundlage verhängt werden. So heißt es beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass es für Deutschland »kaum quantitative und empirische Studien zu Wirkungen von Sanktionen« gebe. Auch für die schärferen Sanktionen bei unter 25-jährigen Hartz-IV-Beziehern, wie sie derzeit praktiziert werden, fehle »eine fundierte wissenschaftliche Begründung«, so das IAB. Eine Nebenwirkung der Sanktionspraxis sei, dass man junge Arbeitslose so in »schlecht bezahlte, unqualifizierte und prekäre Erwerbsarbeit« dränge, konstatierten die IAB-Forscher. Doch genau dies bezweckt das Sanktionsregime offenbar. »Allein aufgrund einer möglichen Sanktionierung«, so das IAB, seien die Anspruchslöhne in Deutschland geringer als in »Systemen ohne Sanktionen«.

Reiner Höft-Dzemski vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge kritisierte das Sanktions-Instrumentarium als »zu starr und unflexibel«. So liefen die Sanktionen oftmals auch nach einer Verhaltensänderung der Betroffenen einfach weiter. Zumal nur wenige Sanktionen wegen Ablehnung eines Arbeitsangebotes verhängt würden, so Höft-Dzemski. Ingo Kolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zeigte sich überzeugt, dass »eine Kürzung über 30 Prozent hinaus« verfassungswidrig sei.

Beifall von der Zuschauertribüne des Sitzungssaales im Berliner Marie-Elisabeth-Lüders-Haus erhielt der Jenaer Soziologe Stephan Lessenich, als er die Sanktionen als »Abschreckungsregime« kritisierte, das »Hilfsbedürftige wie Erziehungsbedürftige« behandele. Damit lag er auf einer Wellenlänge mit der Ausschussvorsitzenden und sozialpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Katja Kipping. Sie betonte nach der Anhörung gegenüber ND: »Wer auf Sanktionen setzt, geht im Grund davon aus, dass man erwachsene Menschen mit erhobenem Zeigefinger und unter Androhung von Existenznot erziehen muss.«

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