Vergabegesetz ohne Mindestlohn

Warum in Schwerin unmöglich sein soll, was in Potsdam beschlossene Sache ist

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach fünf Jahren Gezerre will Schwarz-Rot in Mecklenburg-Vorpommern doch noch ein Vergabegesetz für öffentliche Aufträge verabschieden. Hinter vergleichbare Gesetze wie etwa in Bremen und Brandenburg fällt die Regelung allerdings entscheidend zurück: Es gibt keine Lohnuntergrenze.

Es ist eine lange Geschichte. Schon Rot-Rot hatte in Schwerin einst geplant, öffentliche Aufträge an Tarifverträge zu binden; dies scheiterte an Meinungsverschiedenheiten bei den Genossen. Dennoch hat sich die SPD auch nach dem Partnerwechsel zur CDU 2006 stets für »Tariftreue« ausgesprochen. Noch 2008 gab es einen Entwurf, der entsprechende Bedingungen legalisieren sollte, die »insbesondere soziale, innovative Aspekte betreffen, wenn sie in sachlichem Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen«, wie der SPD-Politiker Jochen Schulte damals erklärte.

»Was in Bremen geht, muss auch in MV möglich sein«, kommentierte derselbe 2009 das von Bremen beschlossene Gesetz, wonach öffentliche Aufträge an die Zahlung von repräsentativen Tariflöhnen oder ersatzweise gesetzlich verbindlichen Branchen-Mindestlöhnen gebunden sind – und nach dem dort, wo es beides nicht gibt, eine absolute Unterschranke von 7,50 Euro Bruttolohn vorgesehen ist.

Gerade letztere aber fehlt in dem, was Schulte zwei Jahre später als »Schritt zu fairen Löhnen« verkauft. Wie Bremen will Schwerin die Bieter im Schienen- und Personennahverkehr auf den Tarifvertrag der Branche verpflichten. Von dessen Einhaltung ist auf dem übersichtlichen Markt, dessen Teilnehmer sich gerade erst zu dem Vertragswerk zusammengerauft haben, allerdings ohnehin auszugehen. Wie Bremen will auch Schwerin die Kommunen zur Kontrolle der Branchen-Mindestlöhne etwa auf dem Bau oder in der Gebäudereinigung verpflichten – die allerdings ohnehin gesetzlich vorgeschrieben sind. Von einem Mindestlohn aber ist keine Rede. Stattdessen heißt es, Angebote, die das Niveau der Konkurrenz »nicht nachvollziehbar« deutlich unterschritten, könnten abgewiesen werden. »Insbesondere bleiben auch weiter vergabefremde Kriterien wie ausufernde soziale Standards« außen vor, freut sich der CDU-Wirtschaftspolitiker Wolfgang Waldmüller wohl zu Recht.

Außerhalb des Parlaments herrscht derweil seltene Einigkeit: Keiner will ein solches Gesetz. Arbeitgeber- und Kommunalverbände im Nordosten finden neue Regeln ohnehin überflüssig; aber auch bei Gewerkschaften und Linkspartei gibt es keinen Beifall: Wenn das Gesetz so dünn ist, dann kann man es auch lassen, ist dort der Tenor. So fordert Linkspartei-Fraktionschef Helmut Holter die SPD jetzt auf, das Gesetz zurückzuziehen. Das käme für die Genossen bei der Vorgeschichte allerdings einer Blamage gleich.

Schulte verteidigt das Schweriner Light-Gesetz damit, dass man auf die Rechtsprechung des EuGH Rücksicht habe nehmen müssen. Die Europarichter hatten 2008 das Tariftreuegesetz Niedersachsens für nicht europarechtskonform erklärt. Das Kernargument war allerdings, dass der Bauwirtschafts-Tarifvertrag, auf den damals auch ausländische Anbieter verpflichtet werden sollten, nicht repräsentativ und auch nicht allgemeinverbindlich sei. Ob dies einem vergabespezifischen Mindestlohn von 10 oder 8,50 Euro widerspricht, den Linkspartei und DGB in das Gesetz schreiben wollten, ist zumindest unklar. Die Entsenderichtlinie, auf die sich der vom EuGH attestierte Gemeinschaftsrechtsverstoß des niedersächsischen Gesetzes bezog, verbietet keineswegs generell eine Festlegung von Mindestlöhnen bei öffentlichen Aufträgen.

Auch im rot-roten Brandenburg steht der Landtag kurz vor der Abstimmung über ein Vergabegesetz. Auch dessen »Kernelement« ist, was in Mecklenburg-Vorpommern nicht geht: Ein Stundenmindestbruttolohn von 7,50 Euro. Die märkische CDU beklagt ein »bürokratisches Monster«. Europarechtliche Bedenken aber hat in Potsdam offenbar nicht einmal die Opposition.

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