1000 Jahre in einer Stunde

Ein »Sachcomic« erklärt den Kapitalismus

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 2 Min.
Dan Cryan, Sharron Shatil, Piero: Kapitalismus. Ein Sachcomic. TibiaPress, 176 S., brosch., 10 €.
Dan Cryan, Sharron Shatil, Piero: Kapitalismus. Ein Sachcomic. TibiaPress, 176 S., brosch., 10 €.

Große Worte auf kleinen Büchern: »Ethik«, »Logik«, »Evolution«, »Quantentheorie«, »Philosophie«, »Ökonomie« ... Ganze Bibliotheken ließen sich füllen mit dicken Wälzern zu jedem der Themen, derer diese putzige Publikationsreihe sich auf jeweils nicht mal 180 Seiten annimmt. Und dann sind diese Seiten nicht etwa eng bedruckt mit winzigen Lettern, nein, sie sind üppig gefüllt mit sprechenden Bildern – »Sachcomics« eben. Unterhalten und informieren – haben sich die Macher da nicht ein bisschen zu viel vorgenommen?

Haben sie nicht. Das Bändchen zum »Kapitalismus« zumindest hält ganz und gar, was es verspricht: Leicht verständlich, relativ lückenlos und klar gegliedert dampft es 1000 Jahre Wirtschafts-, Sozial- und Geistesgeschichte auf eine Stunde Lektüre ein. Wenn man das Buch zuklappt, sind Hobbes, Smith, Marx, Keynes, Friedman, Weber, Adorno und all die anderen, die darin herumgeistern, zwar auf die Größe von Schlümpfen geschrumpft, aber diese Miniaturen passen dann wirklich in den Kopf jedes aufgeweckten Vierzehnjährigen. Das Schönste daran ist, dass die gelungene Verkürzung den Respekt vor der Dimension der Sache minimiert. Was da die ganze Welt umgekrempelt hat, seit die Kreuzzüge die Schneisen für die erste große europäische Handelsexpansion schlugen – es lässt sich dank der schlüssigen Abfolge der Darstellung tatsächlich begreifen.

Die Texte der Philosophen Dan Cryan und Sharron Shatil bleiben allerdings recht lehrbuchhaft und versuchen erst gar nicht, Geschichte im Sinne einer Story zu erzählen, wie man es von einem Comic erwarten könnte. Entsprechend sind auch die Zeichnungen, Collagen und Montagen des argentinischen Illustrators Piero eher Stückwerk. Die schablonenhafte Wiederverwendung bestimmter grafischer Elemente – es sind immer haargenau dieselben Köpfe, die in an verschiedenen Stellen kommentierend in Erscheinung treten – erfüllt ihren didaktischen Zweck: Indem man den Karikierten wiedererkennt, erinnert man sich besser an die Prozesse und Gedanken, die er zuvor schon verkörpert hat. Pieros ausgeprägter Zug ins Fratzenhafte indessen ist gewöhnungsbedürftig, veranschaulicht aber sehr schön den Unterschied zwischen Kunst und Sachprosa: Während sich die politisch weitgehend neutralen Texte jeglichen Kommentar zu den dargestellten Personen und Sachverhalten untersagen, lassen sich die Zeichnungen sehr leicht als Wertungen deuten: Queen Victoria ist ein Krake, der seine Arme um den Globus schlingt, die Söhne des Bankiers Rothschild haben Roboterköpfe aus Blech ...

Allemal fesselnder als ein Schulbuch, mindestens so kompakt wie ein Wikipedia-Eintrag und überaus anregend zum vertiefenden Auseinandersetzen, zeichnet dieser »Sachcomic« die Geschichte des Kapitalismus und der Kritik an ihm einprägsam nach. Ein prima Überblick für Ein- und Aussteiger.

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