Abzug auf Raten aus Afghanistan

USA kündigten Heimkehr von 33 000 Soldaten binnen eines Jahres an / LINKE fordert Vorreiterrolle Deutschlands

  • Olaf Standke und René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Rund ein Drittel der USA-Truppen will Präsident Obama bis Sommer 2012 aus Afghanistan abziehen, bis 2014 soll der Kriegseinsatz beendet sein.
Monatelang hatten Pentagon und Weißes Haus über den militärischen Rückzug aus Afghanistan gefeilscht. Nun wurde Präsident Barack Obama in einer Rede an die Nation, die zunehmend kriegsmüde und der enormen Kosten für den Feldzug von monatlich über zehn Milliarden Dollar überdrüssig ist, konkret. In einer CBS-Umfrage forderten unlängst 64 Prozent der Befragten einen schnellen Abzug. Obama bietet ihnen erst einmal den von 33 000 Soldaten binnen eines Jahres an. Der Abzug entspricht ungefähr der im Dezember 2009 beschlossenen Aufstockung.

Bereits im Juli kehren die ersten Soldaten zurück, bis Jahresende sollen es 10 000 sein. Bis 2014 will Obama die Truppenzahl dann »mit konstantem Tempo« weiter reduzieren, ehe die afghanischen Kräfte die Sicherheitsverantwortung voll übernehmen. Gegenwärtig sind rund 100 000 US-Soldaten am Hindukusch im Kriegseinsatz, knapp zwei Drittel aller ausländischen Truppen dort.

Die Hoffnung auch in den eigenen Reihen der Demokraten auf einen umfangreicheren und schnelleren Abzug hat Obama enttäuscht. Anderseits drängten die Generäle, unterstützt von republikanischen Abgeordneten, darauf, die Stärke der Kampftruppen noch mindestens zwei Jahre auf den jetzigen Stand zu halten. »Wir starten diese Reduzierung von einer Position der Stärke«, behauptete Obama jetzt in seiner Rede. Die Offensive gegen die Taliban zeige Erfolge, Al Qaida sei nach der Tötung von Osama bin Laden unter starkem Druck. Der Präsident sieht gute Chancen, Afghanistan so zu stabilisieren, dass es mittelfristig selbst für seine Sicherheit sorgen kann. Die Entwicklungsorganisation Oxfam dagegen zeichnete in ihrem jüngsten Lagebericht ein düsteres Bild der einheimischen Sicherheitskräfte und der Situation im Lande.

Während der afghanische Präsident Hamid Karsai die Ankündigung des Teilabzugs begrüßt hat, drohten die Taliban mit einer Eskalation der Gewalt. Nach NATO-Einschätzung fürchteten einige Alliierte »negative Folgen für ihre Verantwortungsgebiete«, in denen sie oft auf US-Unterstützung angewiesen sind. Der Kampf werde vor allem im Süden und Osten schwieriger werden, so Danielle Plettka vom Think-Tank American Enterprise Institute. Frankreich hat schon angekündigt, den Abzug seiner rund 4000 Soldaten analog zu Washingtons Vorgehen zu organisieren. Premierminister David Cameron bekräftigte Londons Pläne, die 9000 britischen Soldaten bis 2015 aus Afghanistan abzuziehen.

Auch in der Bundeswehrführung sieht man Obamas Rückzugsabsichten mit Sorge. Die Mitsprache deutscher Militärs, die das drittgrößte ISAF-Kontingent stellen, habe unter US-General David Petraeus deutlich abgenommen. Zudem sind rund 5000 US-Soldaten im Bereich des Kommandos Nord der Bundeswehr eingesetzt. So sei man auf die 50 Hubschrauber der US-Armee angewiesen.

Im Sog von Obamas Rückzugsplan hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle die Verringerung der deutschen Truppe noch in diesem Jahr bekräftigt. In Kürze beginne in Masar i Sharif die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an einheimische Kräfte, insgesamt in drei Provinzen und vier Städten, in denen ein Viertel der afghanischen Bevölkerung lebt. Nur hat Deutschland in Masar i Sharif gar keine Sicherheitsverantwortung, sondern Schweden. Die Bundeswehr bewacht nur die Nachschubbasis Camp Marmal und den Flugplatz. Beide werden mit Sicherheit nicht übergeben. »Statt auf der Bremse zu stehen und nur zögerlich nachzuziehen, muss die Bundesregierung beim Truppenabzug zügig vorangehen«, forderte gestern Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag.

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