Gegen Aufklärung

Antisemitismus

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Eines der zentralen Kapitel in der »Dialektik der Aufklärung« von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer heißt »Elemente des Antisemitismus«. Die Kernaussage darin: In der Judenfeindschaft manifestiert sich antiaufklärerisches Denken in der Form, dass »die falsche gesellschaftliche Ordnung« auf die Juden projiziert wird. Dem Juden werde, so Adorno und Horkheimer, »das ökonomische Unrecht der ganzen Klasse aufgebürdet«. Da sich in der kapitalistischen Gesellschaft ökonomische Herrschaft nicht mehr unmittelbar, sondern mittelbar in der Zirkulationsspähre abbildet, ziehen die Juden »den Hass derer auf sich, die unter den kapitalistischen Existenzformen zu leiden« haben.

Die These lautet also: Antisemitismus ist die spezifische Form eines Denkens, dass gesellschaftliche Macht- und ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse dem Wirken einer kleinen Gruppe zuschreibt. Nicht von ungefähr kommen die diversen Verschwörungstheorien nicht aus, ohne auf das geheime Wirken wahlweise von Freimaurern, Finanzoligarchen o. ä. zu verweisen und sie apodiktisch schuldig zu sprechen für den als elendig empfundenen Zustand der Welt. Erst diese »Blindheit des Antisemitismus«, so Adorno und Horkheimer, »verleiht der Erklärung, er (der Antisemitismus, J.A.) sei ein Ventil, ihr Maß an Wahrheit. Die Wut entlädt sich auf den, der auffällt ohne Schutz«.

Dieser Antisemitismus ist in seinem Grunddenken mehr als nur Judenfeindschaft, denn: »Und wie die Opfer untereinander auswechselbar sind, … kann jedes von ihnen anstelle der Mörder treten, in derselben blinden Lust des Totschlags, sobald es als die Norm sich mächtig fühlt.« Der moderne, also nicht mehr religiös motivierte Judenhass, ist demnach die spezifische Form der Wahrnehmung von Wirklichkeit als Ergebnis einer Verschwörung von Minderheiten gegen die Norm setzende Mehrheit. Dieses Denken findet Ausdruck in einem vulgären Antikapitalismus, der den verprassenden Lebensstil des kapitalistischen Unternehmers anprangert, ebenso wie in einem Antiimperialismus, der vornehmlich die Landnahme jüdischer Siedler bzw. Israels als Kritikziel hat.

Die Antwort auf die Frage, wie antisemitisch Teile oder Einzelne innerhalb der Linkspartei sind, was als zulässige Kritik am Staat Israel und was als antisemitisch zu gelten hat, lässt sich also nicht über die Frage: »Wie hältst Du es mit den Juden?« klären, sondern vielmehr über die Frage: »Wie hältst Du es mit der Aufklärung?«

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