Italien: Verhärtete Fronten im Susa-Tal

Streit um Verantwortung für Eskalation des Bürgerprotestes gegen Bahntrasse

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 2 Min.
Hunderte Verletzte hat es am Sonntag im Susa-Tal im äußersten Nordwesten Italiens gegeben, wo Zehntausende gegen den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke protestierten, die Turin mit dem französischen Lyon verbinden soll. Demonstranten und Ordnungskräfte beschuldigen sich gegenseitig, die Unruhen provoziert zu haben.

Eigentlich hätte es ein friedlicher Protestmarsch werden sollen, an dem Familien mit kleinen Kindern, Alte und die Bürgermeister der Gegend teilnahmen, die sich seit Jahren gegen den Bau der Bahnstrecke und des Tunnels durch das Susa-Tal aussprechen. Doch irgendwann begannen die Unruhen, und Demonstranten und Polizei geben sich nun gegenseitig die Schuld dafür. Die Ordnungskräfte erklären, sie seien von »militärisch organisierten« Vermummten (darunter sollen auch Angehörige des Schwarzen Blocks aus Spanien und Deutschland gewesen sein) mit Steinen und Brandflaschen angegriffen worden.

Vertreter der Protestbewegung sprechen hingegen von Provokationen von Seiten der Polizei, die mit Tränengaspatronen direkt auf die Menschen geschossen und sogar giftige Substanzen eingesetzt haben soll. Der »Schwarze Block« sei eine Erfindung der Polizei, erklärte der Sprecher der Protestbewegung, Alberto Perino, der den Protesttag insgesamt als einen Erfolg bezeichnete.

Tatsächlich wird in Italien kaum noch über die Gründe der Proteste gesprochen, sondern nur noch über die gewalttätigen Demonstranten. Alle Parteien von links bis rechts haben die Ausschreitungen verurteilt und insbesondere den bekannten Schauspieler und Politiker Beppe Grillo angegriffen, der an der Demonstration teilnahm, von »Bürgerkrieg« und »diktatorischen Mitteln« auf Seiten der Machthaber sprach und alle Demonstranten zu »Helden« erklärte.

Mit diesen Ausschreitungen – so der vorherrschende Tenor in der italienischen Politik – habe die Bewegung, die von keiner Partei wirklich unterstützt wird, sich selbst delegitimiert. Ähnlich wie bei »Stuttgart 21« wird gesagt, dass die Entscheidung für den Bau der Bahntrasse bereits von den Volksvertretern getroffen wurde und die neue Strecke eine notwendige Infrastruktur für das Land darstelle. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Gelder (insgesamt sind 14 Milliarden Euro veranschlagt) von der EU kommt, die einen Rückzieher machen könnte, wenn die Arbeiten nicht sofort beginnen.

Die Talbewohner hingegen sind der Ansicht, dass die neue Strecke unnötig, gefährlich und überteuert sei und für einen ökologischen Kahlschlag sorgen werde. Mit einem Bruchteil der Gelder könnte man die bereits vorhandene Eisenbahnstrecke ausbauen und außerdem zahlreiche soziale Projekte finanzieren.

Was in den kommenden Tagen geschehen wird, bleibt offen. Die Bauarbeiten an dem 24 Kilometer langen Tunnel sollen unverzüglich beginnen, aber die Einwohner des Susa-Tals wollen das auch weiterhin verhindern und planen schon neue Protestaktionen. Die Fronten sind absolut verhärtet, und ein Kompromiss oder eine Schlichtung scheint nicht in Sicht.

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