Zähflüssige Wohlfühlrunde

Mäßige Fortschritte nach sechs Monaten Wachstums-Enquete

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Bundestags-Enquete »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« soll neue Kriterien für Wohlbefinden finden. Manchmal geht es dann doch nur um Leistungskürzungen. Nach einem halben Jahr zieht die Linkspolitikerin Ulla Lötzer eine kritische Bilanz.

Die Runde lässt es sich gut gehen an diesem Vormittag. Ein Abgeordneter beißt gerade in ein Wienerwürstchen, ein anderer tischt sich Kartoffelsalat auf, als die Sitzung eröffnet wird. Das ist durchaus angemessen, schließlich tagt hier die Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« des Bundestages. Sie soll herausfinden, wie man in Zukunft Wohlstand definieren und messen will.

Das klingt anregend, doch konkret geht es im Saal schon wieder um Einschnitte. Der liberale Professor Meinhard Miegel trägt vor, dass in einer schrumpfenden Gesellschaft – bis 2050 schrumpfe Deutschland von 82 auf 73 Millionen Menschen – auch der gesellschaftliche Innovationsdruck sinke. Miegel, der die Solidarkassen zurückdrängen möchte, ist an diesem Tag jedoch milde gestimmt. Einen »demografischen Zwang«, die Lebensarbeitszeit zu erhöhen oder die Rente zu privatisieren, erwähnt er nicht. »Hoch spekulativ« sei die Debatte, räumt Miegel ein.

Dr. Norbert Reuter von ver.di, der für die Linkspartei vorträgt, geht dennoch auf diesen vermeintlichen Sachzwang ein. Rechne man einen jährlichen Produktivitätszuwachs von nur einem Prozent ein, so Reuter, dann gibt es gar keinen »demografischen Sachzwang«, sondern »nur ein Verteilungsproblem«. Sein Rezept: Einnahmen durch eine Steuerreform anheben, Mindestlohn einführen und die Arbeitsmarktgesetze »Re-Reformieren«.

Stimmt nicht, sagt Christoph Schmidt vom Rheinisch-westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, gerade Rente und Pflege seien überdurchschnittlich »demografiesensibel«: Die »Sicherungssysteme können nicht über den Produktionsfortschritt gesichert werden«, sagt Schmidt. Ohne Leistungskürzung gehe es nicht. Dies wiederum verleitet den linken Politologen Ulrich Brand von der Uni Wien zu einem engagierten Einwurf darüber, wie mit düsteren Zahlen Politik gegen den Sozialstaat gemacht werde.

Das alles ist interessant, aber nicht neu. Schon die Aufgabenstellung für die Kommission, so Ulla Lötzer, LINKE-Obfrau in der Kommission, habe viele »kritische Fragen« ausgeblendet: »Die Diskussion über konkrete politische Handlungsempfehlungen und Anforderungen an staatliche Regulierung soll durch das hundertste Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft ersetzt werden«, sagt Lötzer, die gegenüber CDU und CSU Blockadevorwürfe erhebt. Nur Miegel und der Abgeordnete Matthias Zimmer gingen auf Regierungsseite davon aus, »dass die ökologische Krise auch zum Hinterfragen des bisherigen Wirtschaftsmodells zwingt«. Aus Lötzers Sicht müsste sich die Debatte viel stärker auf ein echtes Übereinbringen von Ökologie und Sozialem konzentrieren, die »gegen die traditionellen Shareholder und ihre Profitinteressen« durchgesetzt werden müsse.

Brand sieht in der Debatte auch eine parteipolitische Chance für die Linkspartei. Für den Politologen hat die Debatte in der Kommission bisher nämlich vor allem eins gezeigt: »Die Grünen wenden sich von der Verteilungsfrage ab; wir erleben die Geburt eines grünen Kapitalismus«.

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