Fünfzig Stufen unter dem Wald

Verrückt oder clever? Bei Tessin wurde die »Unterwelt« der DDR-Volksmarine wieder geöffnet

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
HGS oder RS-18 oder HGS-18 oder HNZ-34 oder? Ach zum Teufel! Mögen Historiker doch herausfinden, wie der Bunker im Wald bei Tessin korrekt hieß. Seine Zeit ist vorbei. Oder?
Fünfzig Stufen unter dem Wald

Ein Bunker bei Tessin? Nicht einmal das ist korrekt. Man muss durch Tessin, einem Örtchen in Mecklenburg-Vorpommern, durchfahren, dann passiert man ein noch kleineres Nest namens Drüsewitz, den nächsten Kilometer sollte man langsam fahren, sonst verpasst man rechts die Abfahrt zum ehemaligen Hauptgefechtsstand der Volksmarine. Das einstige Militärobjekt, von dem nur wenige wussten, dass sein Herzstück ein Stück abseits der Unterkunftsgebäude im Wald vergraben liegt, wurde vor einigen Jahren privatisiert. Der gelernte Forstwirt Mario Ruhm, der eigentlich Jurist ist, hat einen Teil des Areals erworben und damit auch das, was darunter liegt – 57 mal 49 Meter groß, zwei Etagen aus Stahl und Beton. Es war seit 1993 sicher verschlossen. Jetzt ist es wieder offen. Dank Claus Funke, der Ruhm überzeugte, um gleichnamigen zu ernten.

Es regnet. Funke steht vor den zwei Mietcontainern, die er im Wald aufgestellt hat. Funke rasiert sich, nippt zwischendurch an einer Kaffeetasse und ist insgesamt bei allem, was er tut und sagt, wichtig. Irgendwo brummt ein Generator. Funke ist Feuerwerker, wie er sagt. Seine Firma heißt Bombex. Die erledigt Arbeiten »mal hier, mal dort und auch mal in Wilhelmshaven«. Ihren Sitz hat sie in Bernau bei Berlin. »Zur Tarnung, da ist mein Postfach.« Eigentlich liegt der Betrieb in Marienwerder. Die Telefonvorwahl auf dem Firmenschild bestätigt das, doch zu erreichen ist Funke nur übers Handy. Und auch dann nur, wenn er nicht durch irgendeinen alten Bunker kriecht. Also selten.

Ein Robin Hood für unter Tage

Feuerwerker Funke hat sich in der leicht unterirdisch wirkenden Szene der Bunkerfreunde einen Namen gemacht, weil er vor Jahren in der Schorfheide, da wo Carinhall stand, Nazi-Görings Luftschutzkeller entdeckt hat. Oder hat er nur entdeckt, was andere bereits kannten? Die einen sagen so, andere so. Funke jedenfalls sieht sich – noch das Rasiermesser am Hals – als eine Art Robin Hood. Mit den engstirnigen Behörden, die dem Wessi, der gekommen war (»ohne einen Funken – haha ... – Ahnung vom Osten«) das Graben nicht gestatten wollten, habe er sich bittere Schlachten geliefert und letztlich »380 Kilogramm an Kunstgegenständen herausgeschleppt«.

»Funke, habe ich mir gesagt, Funke, du wirst doch nicht etwa ...« Aber nein, das würde Funke nie tun. »Ich brachte alles schön brav zum Museum.« Zu welchem? »Na zu dem da in Berlin, da zu dem großen.« Aha.

Funke und seine Truppe haben geschuftet im einstigen Volksmarinewald. Sie mussten eine harte Betonplombe wegpickern, die den Weg in den Bunker versperrte. Das Ding, das mal um die 60 Millionen DDR-Mark gekostet hat und aus dem die Marineführung der DDR ihre Schiffe noch führen können wollte, wenn die längst in einem Atomsturm untergegangen wären, wurde im großen Deutschland nicht mehr gebraucht. Die Bundeswehr ließ es zubetonieren. Für die Ewigkeit. Die jedoch nur so lange währte, bis Claus Funke Feuer gefangen hatte. Nun kann man wieder 50 Stufen hinabsteigen und das dicke Stahlschleusentor ins Innere auftun.

Und da stinkt es. Es ist kalt. Der Schimmel fühlt sich in einigen der stockdunklen Betonlöcher offenbar wohl. Im Raum des Kommandanten steht noch ein Feldbett, der Dispatcherraum bräuchte nur die ordnende Hand einer Putzfrau und das Linoleum müsste erneuert werden. Die Relais der Telefonzentrale hängen ordentlich verdrahtet in den Schränken, die Stromdiesel sehen aus, als ob man sie gleich starten könnte. Doch das täuscht, denn es gibt weder Zu- noch Abluftschächte. Kein Wasser, kein Abwasser und das Sitte-Bild, das im »Zimmer« des Admirals gehangen haben soll, ist auch weg.

Dass da eines gehangen hat, beschwört Steffen Reichelt. Der studierte einst an der TU Dresden, dann hat man ihm an einer NVA-Offiziershochschule »das Laufen und Grüßen beigebracht«, um ihn schließlich in dem Loch zu versenken. Immer wieder, jeweils für eine 24-Stunden-Schicht.

Reichelt, der heute eine kleine PC-Firma in der Gegend hat, war Chef des Rechenzentrums. Damals sollte er das Elektronik-Ding gut pflegen, damit es auch noch im Ernstfall Mord und Totschlag in Einsen und Nullen übersetzt. Reichelt mag nicht klagen über den damaligen Job. »Wir konnten – so lange die russischen Bildschirme eingebaut waren – mitverfolgen, was die im Stab der Volksmarine alles so bilanzierten. Beispielsweise den Verbrauch von Toilettenpapier. Und die Anzahl der Grenzverletzungen.« Obwohl Reichelt bis zum Ende der DDR im Bunker Dienst tat, kann er sich nicht mehr an die Zahl erinnern. Es sollen, so kann man einem gerade erschienen Buch über die Grenzbrigade Küste entnehmen, allein zwischen Dezember 1987 und November 1988 – weiter reicht die Statistik nicht – 221 Personen gewesen sein. Im Vergleich zum Vorjahr errechnete vermutlich Reichelts Rechner eine Steigerung um 178 Prozent.

Rudi Urbanek kommt aus Leipzig. Handwerksbetrieb Rudi-Fenster-Bau-Haus-Technik-GmbH »fertigt speziell für Sie Qualitätsarbeiten aus Meisterhand zu angemessenen Preisen«. Auch Dächer und Elektroanlagen.

Elektroanlagen ... Rudi, alle nennen ihn nur beim Vornamen, weiß, warum der Dieselgenerator, der einige wenige im Bunker aufgehängte Lampen zum Leuchten bringen soll, immer wieder »verreckt«. Rudi weiß aber noch mehr. Beispielsweise, dass das, was er und die meisten seiner Generation von der Comicfigur »Atomino« aus der Pionierzeitschrift »Frösi« über das gute Atom im Sozialismus gelernt haben, Unfug ist. Man muss, so fasst Rudi seine heutigen Erfahrungen zusammen, über den Tellerrand schauen.

30 000 Euro für Bunker-Disneyland

Nun jedoch schaut er erst einmal in einer Ecke seines damaligen Bunkerreiches nach und strahlt, als er eine leere Schnapsflasche hervorzieht. Auch folgende Wehrpflichtgenerationen haben also das Versteck für den »Blauen Würger« gekannt. Rudi hat seinen dreijährigen »Ehrendienst« im Bunker abgeleistet. Seit der Zeit mag Rudi, der stets für Klarheit ist, keinen Klaren mehr. Die Telefontechnik, das war Rudis Reich im Bunker. An den er im Grunde keine schlechten Erinnerungen hat. Der Kommandant sei ein vernünftiger Mann gewesen, der auch gewusst habe, wie man manches nicht an die Oberfläche dringen lässt. Beispielsweise, als ein Offizier durchdrehte und mit der Pistole in der Hand den Klassenfeind erwartete.

Wie man weiß, kam der Klassenfeind nicht, der Kalte Krieg ist in Mitteleuropa vorbei. Was also sollen der Bunker und die alten Geschichten? Funke sagt, er habe schon von über 500 Leuten Anfragen zu einer Führung durch die Unterwelt. »Und denken Sie an die Urlauber, wenn Schietwetter ist, muss man sich ja auch irgendwie beschäftigen. Und die vielen Leute, die hier mal gedient haben und die, die auf der anderen Seite waren.« Funke hofft aufs Geschäft im Bunker-Disneyland. »Schließlich habe ich ja schon über 30 000 Euro in das Projekt gesteckt.«

Eigentümer Ruhm lächelt, er bleibt lieber auf dem Boden ökonomischer Tatsachen: Biomasse statt Bunker? Ruhm erntet man damit freilich nicht. Funke steckt sich gierig eine »Roth Händle« an. Dabei ist Rauchen verboten – im Bunker wie im Wald.

14 Tage hätte die Unterwelt weiterbestanden, auch wenn oben nichts mehr gewesen wäre: Der Hauptgefechtsstand der DDR-Volksmarine.
14 Tage hätte die Unterwelt weiterbestanden, auch wenn oben nichts mehr gewesen wäre: Der Hauptgefechtsstand der DDR-Volksmarine.
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