Grenzenlose Sprünge

Viel Show, wenig sportlicher Glanz – Leichtathletikmeeting in Berlin mit innovativem Format

  • Christian Heinig
  • Lesedauer: 3 Min.

Er hat das nicht getan, um die Show anzuheizen. Er hat es getan, weil er glaubt, dass so eine Höhe nötig ist, um in gut zwei Wochen im südkoreanischen Daegu, wo sich in diesem Jahr die Leichtathletikweltelite zur WM trifft, Gold zu holen, wie er später verrät. Dem Spektakel tut dieser tollkühne Versuch dennoch gut, den der Franzose Renaud Lavillenie da unternimmt. Er hat 5,95 m auflegen lassen. Weltjahresbesthöhe im Stabhochsprung.

Es ist sein letzter Sprung an diesem späten Freitagnachmittag beim Wettstreit in Berlin, im Windschatten des Brandenburger Tores. Etwa 1500 Zuschauer säumen den Pariser Platz, viele klatschen im Takt. Lavillenie rennt an, er steigt hoch, und höher, und noch höher. Dann prasseln seine Schuhe gegen die Stange. Mon Dieu!

Fünfzehn Minuten später sitzt der amtierende Europameister, 24 Jahre alt, zu Fuße der Quadriga auf einem Campingstuhl, und er muss an Paris denken. »Nun sind wir mit so einem Wettbewerb an der Reihe«, sagt er, »vielleicht vor dem Eiffelturm.« Er findet die Idee gut, die man sich da in Berlin ausgedacht hatte, um – so die eigenwillige Intention – des Mauerbaus vor 50 Jahren auf sportliche Weise zu gedenken. Man hat sie »Berlin fliegt« genannt, ausgetragen als Vierländervergleich im Stabhochsprung und Weitsprung vor historischer Kulisse zwischen Deutschland und drei der vier früheren Alliierten: Russland, USA, Frankreich.

Es ging hierbei natürlich nicht allein um Politik und Sport, es ging auch um Innovation. Darum, der Leichtathletik, die von Totengräbern oft nachgesagt bekommt, ein angestaubtes Mumien-Image zu haben, neue öffentlichkeitswirksame Impulse zu versetzen. Immerhin bewirbt sich Berlin um die Austragung der EM 2018, und in vier Wochen steigt das ISTAF im Olympiastadion. Da macht sich solch eine Show gut, vor allem dann, wenn davon gleich in 56 Länder Fernsehbilder gesendet werden.

Für Weltrekordfans ist ein derartiges Format, wie in Berlin dargeboten, hingegen nur bedingt geeignet. Es zählt allein das Team, und da jeder Fehlversuch mit null Punkten bestraft wird, gab es vor allem im Weitsprung zahlreiche Sicherheitssprünge. Bianca Kappler etwa purzelte bei einem ihrer vier Versuche schon nach 5,94 m in den Sand, Weltmeisterin Brittney Reese aus den USA, deren persönliche Bestweite bei 7,19 m liegt, kam nur auf 6,77 m. Halleneuropameister Sebastian Bayer gelang mit gerade 7,84 m der weiteste Satz der Männerkonkurrenz.

Dass Deutschland den Ländervergleich am Ende vor den USA für sich entscheiden konnte, lag vor allem an Stabhochspringer Malte Mohr. Der 25-jährige Münchner, mit 5,81 m derzeit Dritter der Weltjahresbestenliste, überquerte 5,72 m. Der Franzose Lavillenie schaffte zwar 5,76 m, riss dafür aber dreimal. »Lavillenie hat hier Nerven gezeigt. Wenn er so auch in Daegu springt, wäre ich darüber nicht unglücklich«, so Mohr, der bei seinen vier Versuchen fehlerfrei blieb. Er gefällt sich in der Rolle des Herausforderers. Bei der WM wolle er um die Goldmedaille mitspringen. Lavillenie, mit 5,90 m derzeit Weltjahresbester, weiß das. Spätestens jetzt, seit den grenzenlosen Sprüngen von Berlin.

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